FAMILIENSTELLEN

(erschienen in familie“, Zeitschrift des Vlbg. Familienverbandes, 1/99)

Stell Dich hinter Deinen Stellvertreter und führe ihn an seinen Platz, ebenso machst Du es dann mit den Personen, die Deine Frau und Deine Kinder repräsentieren. Dann such Dir einen Sessel außerhalb, von dem aus Du sehen und hören kannst, was geschieht.“

Rudi, der dieser Anleitung gefolgt ist, wird Zeuge, wie ihm bisher unbekannte Menschen, die er als StellvertreterInnen für seine Angehörigen ausgewählt hat, deren Worte in den Mund nehmen, deren Empfindungen zum Ausdruck bringen, ja von ihren körperlichen Leiden sprechen. Er hört von Enge, von Leere im Hintergrund, von Gleichgewichtseindrücken, Kälte, Hitze, einem Zug Richtung Wand. Eine Fachperson stellt dieses sogenannte Problembild um und leitet Prozesse zwischen den Personen an, mit dem Ziel, daß es allen, die dazugehören, gut geht. Die Frage, das Anliegen Rudis bündelt die Kräfte der Beteiligten auf ein Lösungsbild hin. Die Aufmerksamkeit, der Lebenssaft sammelt sich „dort“ und bildet etwas heraus. Dieses Gebilde kann mit Hilfe der unbelasteten stellvertretenden Wahrnehmung der aufgestellten Personen seine Lösungsform gewinnen. Der/die LeiterIn begegnet abwechselnd dem Gebilde und wird Teil davon, findet die Maßnahmen, die dem freien Kräftestrom des Systems dienen.

Das Lösungsbild ist ein Angebot für die Seele, es mit sich zu nehmen und wirken zu lassen. Gute Lösungen sprechen für sich selbst, wirken im Inneren der betroffenen Person, die ihren Angehörigen dann von innen heraus neu begegnet, weil sie im Herzen weitere Zusammenhänge kennt. Oft können Lösungen nur unter Einbeziehung schwarzer Schafe, Verleugneter oder Vergessener gefunden werden, die sich dann als Kraftquellen für das ganze System erweisen. Das Bild dessen, von dem ich mich aus Schmerz oder Wut abwende, bestimmt als unerlöster Eindruck mein Erleben und Verhalten und das Leben der an mich Gebundenen , besonders der Kinder.

Darin stimmen psychotherapeutische Erfahrung, Heilungsrituale verschiedener Kulturen und auch die Bibel überein. Familienstellen ist eine psychotherapeutische Methode, die vor allem mit dem Namen Bert Hellinger verknüpft ist, sich aus verschiedenen Strömungen herausentwickelt und bereits vielfältig ausgeformt hat. (Organisations-, Problem-, Körper- oder politische Aufstellungen sowie Kombination mit unterschiedlichsten Heilverfahren seien als Beispiele genannt.)

Eine Familienaufstellung kann ein Markstein in der persönlichen Geschichte sein, ersetzt aber in der Regel keine Psychotherapie, wo diese angezeigt ist. In der systemischen Aufstellungsarbeit geht es nicht um die täglich sichtbare kommunikative Oberfläche oder Eigenschaften einzelner Familienmitglieder und wie diese auf die anderen wirken, sondern um unterirdische Ströme der Bindungsliebe, der Würdigung und des Ausgleichs, vergleichbar Wasseradern.

Viele Tiere und Pflanzen richten ihren Lebensraum am Verlauf der unsichtbaren Ströme aus oder sind in ihrem Gedeihen davon beeinflußt. Ähnlich ist es mit diesen „unterirdischen“ familiären Ordnungen. Wir sind gut beraten, uns an ihnen zu orientieren, um etwas aus unserem Beziehungs- und Lebensraum zu machen. Über die Schatten unserer unsichtbaren Bindungen können wir nicht springen, sie begleiten uns.

Familienstellen boomt und sagt etwas aus über unsere kulturelle und psychologische Situation. Wir suchen unsere Netze, erlebbar, lebendig. Familienstellen läßt die Verbindungen zwischen Menschen wachsen, das Erkennen, daß es ohne das Wohl des einen keines für den anderen gibt. Familienstellen ist nicht nur Mode, es ist zeitgemäß. Eine zeitgemäße Form des Zusammenseins, erfahrbares, erlebtes Mitgefühl. Beim Familienstellen nehmen sich unbekannte oder auch einander nahestehende Menschen mit größter Hingabe der Anliegen anderer an - soweit sie bei Kräften und Wahrnehmung sind. Sie wachsen über ihren gewohnten Wahrnehmungsbereich hinaus. Selbstlos und bewußt vernetzen sie sich im Dienste einer gemeinnützingen Aufgabe. Sie beschränken sich dabei auf ihre Rolle und lassen die anderen gelten. In tiefem liebendem Vernetztsein erkennen sie sich wieder. Die Bereitschaft sich als StellvertreterIn in den Dienst anderer zu stellen kann zu einer wichtigen Erfahrung werden.

Wann ist eine Familienaufstellung sinnvoll? Wenn es in der Familie besondere Schicksale gibt, schwere Krankheiten, gehäufte Unfälle, überdauernden Generationenstreit, frühe oder gewaltsame Tode (auch Kriegsopfer), wenn ich denke oder fühle, daß „die Familienseele“ etwas braucht.