HIV (Therapie)
Hohe Antigen-Variabilität (Ag-Drift, Ag-Shift) macht Entwicklung von
Impfstoffen schwierig.
2 klassische Therapiemöglichkeiten:
- Hemmer der reversen Transkriptase
- Nukleosidanaloga
- Nichtnukleosidanaloga
- Protease-Inhibitoren
Idealerweise ist eine Kombinationstherapie aus allen 3 Substanzklassen
anzustreben.
Probleme der Therapie ergeben sich aus den Nebenwirkungen und den z.T.
komplizierten Einnahmeschemata.
Die folgenden Richtlinien wurden vom deutschen
Robert-Koch-Institut kopiert. (Grund für die Kopie war die Möglichkeit,
dieses Dokument auch offline lesen zu können)
Deutsch-Österreichische Richtlinien zur Antiretroviralen
Therapie der HIV-Infektion (Stand: Juli 2002)
Einleitung
Die Erfolge der antiretroviralen Therapie sind auch nach Erscheinen der
letzten Version dieser Richtlinien weiterhin klar zu sehen. Die Hemmung
der Virusreplikation durch eine antiretrovirale Therapie verhindert die
Krankheitsprogression, führt zur Rückbildung HIV-bedingter Symptome und
zu einer klinisch relevanten Immunrekonstitution [1-4]. Die Prognose
HIV-infizierter Patienten hat sich hierdurch dramatisch verbessert [5,6].
Gerade die bessere Wirksamkeit der heute verfügbaren antiretroviralen
Kombinationstherapien in Kombination mit den Nebenwirkungen dieser
Therapien hat jedoch die Diskussion über den idealen Zeitpunkt des
Beginns einer Therapie der HIV-Infektion erneut angefacht. Die Zeitspanne
einer einmal begonnenen Therapie hat sich wegen der guten Wirksamkeit und
der immer unwahrscheinlicher erscheinenden Möglichkeit einer Eradikation
des Virus deutlich verlängert. Der "ideale" Zeitpunkt für den
Therapiebeginn ist bisher durch keine randomisierte Studie definiert
worden und dies wird sich auch in der nahen Zukunft kaum ändern.
Es gibt gute Argumente für einen möglichst frühen Therapiebeginn und
gute Argumente für einen möglichst späten, ohne dass für eine der
beiden Haltungen eine Evidenz-basierte Entscheidung möglich ist.
Argumente für einen frühen Therapiebeginn sind:
- HIV ist eine Infektionskrankheit und eine antiinfektiöse Therapie
wird üblicherweise so früh wie möglich eingeleitet;
- bei lange anhaltender Replikation des HIV könnte für das
Immunsystem ein point-of-no-return überschritten werden, von dem aus
eine Wiederherstellung des Immunsystems nicht mehr möglich ist;
- eine lange anhaltende Replikation führt aufgrund des
Selektionsdruckes des Immunsystems zu Virusmutationen, so dass eine
Vielzahl von Quasispecies entsteht, deren Hemmung durch antivirale
Therapie möglicherweise schwieriger ist.
Argumente für einen späten Therapiebeginn sind:
- die heutige Therapie ist mit komplizierten und fehleranfälligen
Einnahmevorschriften verbunden, Einnahmefehler sind dabei
wahrscheinlich und diese können zu einer Unwirksamkeit späterer
Therapien führen;
- die tägliche Medikamenteneinnahme bedeutet eine deutliche körperliche
und psychische Belastung, insbesondere bei asymptomatischen Patienten,
bei denen sie zu einem stärkeren Krankheitsgefühl und einer
deutlichen Minderung der Lebensqualität führen kann;
- eine klinische Besserung und Immunrekonstitution kann auch noch bei
Therapiebeginn in einem weitfortgeschrittenen Stadium der
HIV-Erkrankung beobachtet werden;
- im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten ist bei der
HIV-Infektion derzeit weder eine Eradikation des Erregers möglich,
noch durch eine Therapie eine diese überdauernde Kontrolle der
Virusreplikation induzierbar.
Einigkeit besteht über das Ziel, die Progression einer
asymptomatischen HIV-Infektion so lange wie möglich zu verhindern sowie
darüber, eine Therapie zu beginnen, bevor irreversible Schäden des
Immunsystems eingetreten sind.
Die hier gegebenen Empfehlungen beruhen auf der Beurteilung von
randomisierten kontrollierten Studien mit klinischen Endpunkten (I),
randomisierten kontrollierten Studien mit Labormarkern als Endpunkten (II)
und der Auswertung von weiteren klinischen pathophysiologischen und
pharmakologischen Daten durch ein Expertengremium (III, s. Tab. 1). Bei
den verbleibenden Unsicherheiten insbesondere über den besten Zeitpunkt
des Therapiebeginns ist auch ein breiter Konsens mit einem möglichen
Irrtum behaftet.
Randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten sind die bevorzugte
Basis für Therapieempfehlungen in der Medizin. Aufgrund der hohen
Korrelation zwischen den wichtigsten Surrogatmarkern (Verlauf der HIV-RNA
im Plasma, Verlauf der CD4-Lymphozyten) und den klinischen Endpunkten in
den Zulassungsstudien der ersten Protease-Inhibitoren Anfang 1996 werden
Zulassungsstudien bei der HIV-Infektion nicht mehr als klinische
Endpunktstudien sondern in aller Regel als Surrogatmarkerstudien durchgeführt.
Diese Zulassungsbedingungen wurden explizit durch die FDA und die EMEA
definiert und deshalb werden nur noch ausnahmsweise Studien mit klinischen
Endpunkten durchgeführt.
Studien der Evidenzklasse I sind deshalb vor allem ältere Studien, mit
bereits überholten Therapieschemata. Dies führt dazu, dass Studien der
Evidenzklasse I bei der Formulierung aktueller Empfehlungen zum Teil ein
geringeres Gewicht haben als Studien der Evidenzklasse II. Für viele
Indikationen zur Therapie der HIV-Infektion ist eine Graduierung als AII
die höchsterfüllbare. Viele offene Fragen werden durch randomisierte
Studien in der nächsten Zeit nicht bearbeitet werden können:
Langzeitstudien sind in einem Feld, das einen derart raschen Wandel in der
Therapie erfährt, schwer durchzuführen, dies gilt vor allem für
plazebokontrollierte Studien mit klinischen Endpunkten.
Tabelle
1: Graduierung von Therapieempfehlungen |
Graduierung
von Therapie-
Empfehlungen |
I
Auf der Basis mindestens einer randomisierten Studie mit klinischen
Endpunkten * |
II
Auf der Basis von Surrogatmarker-
Studien |
III
Nach Experten-
meinung |
A |
Eindeutige
Empfehlung |
A I |
A II |
A III |
B |
Im allgemeinen
ratsam |
B I |
B II |
B III |
C |
Vertretbar |
C I |
C II |
C III |
D |
Im allgemeinen
abzulehnen |
D I |
D II |
D III |
E |
Eindeutige
Ablehnung |
E I |
E II |
E III |
Allgemeine Therapieprinzipien
Eine Verminderung der Morbidität und Mortalität läßt sich bereits
durch eine Senkung der Viruslast um ca. 1 - 2 log10 erzielen. Die
Selektion von resistenten Virusmutanten läßt sich langanhaltend jedoch
nur vermeiden, wenn die Replikation des HIV möglichst vollständig
gehemmt wird. Dies erfordert eine hohe antivirale Aktivität der
eingesetzten Medikamenten-Kombination. Die Tiefe des erreichten Nadirs
(tiefster gemessener Wert) der quantitativ gemessenen HIV-RNA bestimmt
wesentlich die Dauer der virologisch definierten Wirksamkeit einer
Therapie. Die derzeit kommerziell erhältlichen Tests detektieren eine
HIV-RNA-Kopienzahl von ca. 20-50/ml Plasma zuverlässig. Im Vergleich zu
einer Absenkung der Viruslast unter 400 HIV-Genomkopien pro ml Plasma
bedeutet eine Reduzierung der Werte unter 20-50 /ml mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine länger anhaltende HIV-Suppression sowie eine
langsamere Resistenzentwicklung [7,8]. Die wichtigste Ursache für eine
fehlende Replikationshemmung ist eine Resistenz des HIV gegen die
entsprechenden Substanzen. Punktmutationen in den Genabschnitten, die für
die reverse Transkriptase oder die virale Protease kodieren, vermitteln
eine solche Resistenz [9].
Das Ziel einer initialen antiretroviralen Therapie ist, die Viruslast
unter die derzeitige Nachweisgrenze von 20-50 HIV-RNA-Kopien/ml
abzusenken. Abhängig von der individuellen Situation (z.B. langjährige
Vorbehandlung mit suboptimalen Therapieregimen, Vorliegen multipler
Resistenzen) kann es aber notwendig werden, weniger strikte und angesichts
der Vorgeschichte noch realisierbare Therapieziele zu vereinbaren.
Bei Indikationsstellung einer antiretroviralen Therapie muss eine Abwägung
möglicher Vor- und Nachteile im Dialog zwischen spezialisiertem Arzt und
gut informierten Patienten vorgenommen werden. Dies gilt vor allem für
Patienten mit hohen Zahlen an CD4+ Zellen (Tab. 3). Mehrere Studien
zeigen, dass die vorschriftsmäßige und regelmäßige Einnahme der
Medikation eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer
antiretroviralen Therapie ist [10]. Die dafür notwendige hohe Compliance
muss in Zusammenarbeit von Arzt und Patient erreicht werden.
Tabelle
2: Antiretrovirale Stoffklassen, Substanzen und Dosierungen |
Substanz bzw.
Substanzgruppe |
Wichtigste Neben-
wirkungen |
Diät-Vorschrift |
Dosis*
Darreichungs-
form |
Reverse
Transkriptase Inhibitoren - Nukleosidanaloga |
hepatische Steatose,
selten Laktatazidose, Lipodystrophie-
syndrom § |
|
|
Abacavir
Handelsname:
Ziagen® |
Hyper-
sensitivitäts-
Syndrom |
|
2x300mg
Tabletten à 300mg,
Saft |
Didanosin
Handelsname:
Videx® |
Pankreatitis,
Neuropathie |
Nüchtern einnehmen |
> 60kg KG:
1x400mg
< 60kg KG:
1x250mg oder 2x125mg
Kapseln à 400mg,
Kapseln à 250mg,
Kapseln à 125mg,
Pulver |
Lamivudin
Handelsname:
Epivir™ |
Kopfschmerz |
|
1x300mg
oder
2x150mg
Tabletten à 300mg,
Tabletten à 150mg,
Lösung |
Stavudin
Handelsname:
Zerit® |
Neuropathie,
Pankreatitis |
|
> 60kg KG:
2x40mg
< 60kg KG:
2x30mg
Kapseln à 40mg,
Kapseln à 30mg |
Zalcitabin
Handelsname:
Hivid® |
Neuropathie, orale
Ulzera |
|
3x0.75mg
Tabletten à 0,75mg |
Zidovudin
Handelsname:
Retrovir® |
Neutropenie, Anämie,
Myopathie |
|
2x250mg
Kapseln à 250mg,
Saft |
Kombinations-
präparat:
Lamivudin + Zidovudin
Handelsname:
Combivir™ |
Kopfschmerz,
Neutropenie, Anämie, Myopathie |
|
2x (150mg + 300mg)
Tabletten à (150mg/ 300mg) |
Kombinations-
präparat:
Lamivudin + Zidovudin + Abacavir
Handelsname:
Trizivir® |
Kopfschmerz,
Neutropenie, Anämie, Myopathie, Hyper-
sensitivitäts-
Syndrom |
|
2x150mg + 2x300mg +
2x300mg
Tabletten à (150mg/ 300mg/ 300mg) |
Substanz bzw.
Substanzgruppe |
Wichtigste Neben-
wirkungen |
Diät-Vorschrift |
Dosis*
Darreichungs-
form |
Reverse
Transkriptase Inhibitoren - Nukleosidanaloga |
|
|
|
Tenofovir
Handelsname:
Viread® |
Gastrointestinale
Beschwerden (Durchfall, Übelkeit) |
|
1x300mg
Tabletten à 300mg |
Substanz bzw.
Substanzgruppe |
Wichtigste Neben-
wirkungen |
Diät-Vorschrift |
Dosis*
Darreichungs-
form |
Protease-
Inhibitoren** |
Glukose-
intoleranz, Fettstoffwechsel-
störungen, Lipodystrophie-
syndrom § |
|
|
Amprenavir
Handelsname:
Agenerase™ |
Diarrhoe, Kopfschmerz,
Arzneiexanthem |
Nüchtern bzw.
fettreduziert einnehmen |
2x1200mg
Empfehlung in Kombination mit Ritonavir: Amprenavir: 2x600mg,
Ritonavir: 2x100mg
Kapseln à 150mg,
Saft |
Indinavir
Handelsname:
Crixivan® |
Nephrolithiasis,
Hyper-
bilirubinämie |
Nüchtern bzw.
fettreduziert einnehmen |
Als Mono PI
3x800mg
Empfehlung in Kombination mit Ritonavir:
Indinavir:
2x400mg
Ritonavir:
2x100mg
Kapseln à 400mg |
Lopinavir +
Ritonavir
Handelsname:
Kaletra® |
Fettstoffwechsel-
störungen, Übelkeit, Diarrhoe |
Mit Mahlzeit einnehmen |
2x400mg + 2x100mg
Kapseln à (133mg/ 33mg),
Lösung |
Nelfinavir
Handelsname:
Viracept® |
Diarrhoe, Übelkeit |
Nicht nüchtern
einnehmen |
2x1250mg
Tabletten à 250mg,
Pulver |
Ritonavir
Handelsname:
Norvir™ |
Diarrhoe, Übelkeit,
Hyper-
triglyzeridämie |
|
2x600mg
Saft: 2x7.5ml
Kapseln à 100mg,
Saft |
Saquinavir
Handelsnamen:
Invirase®***
Fortovase® |
Diarrhoe, Übelkeit
(meist mild) |
Mit protein/
fettreicher Kost einnehmen |
3x1200mg
Empfehlung in Kombination mit Ritonavir:
Saquinavir: 2x1000mg
Ritonavir: 2x100mg
Kapseln à 200mg |
Substanz bzw.
Substanzgruppe |
Wichtigste Neben-
wirkungen |
Diät-Vorschrift |
Dosis*
Darreichungs-
form |
Reverse
Transkriptase
Inhibitoren - Nichtnukleosidisch |
Arznei-
reaktionen |
|
|
Delavirdin
Handelsname:
Rescriptor® |
Arzneiexanthem |
|
3x400mg
Tabletten à 200mg |
Efavirenz*****
Handelsname:
Sustiva®
Stocrin® |
Psychotrope NW;
Arzneiexanthem |
|
1x600mg
Kapseln à 200mg,
Kapseln à 600mg |
Nevirapin
Handelsname:
Viramune® |
Arzneiexanthem,
Hepatotoxizität |
|
14 Tage 1x200mg,
dann
2x200mg
Tabletten à 200mg |
Behandlungsindikationen
Symptomatische Patienten
Die antiretrovirale Therapie verlangsamt die Progression der
HIV-Erkrankung (klinische Manifestationen C und B der klinischen
Klassifikation) eindrücklich, unabhängig von Immunstatus und Viruslast.
Auch HIV-assoziierte Symptome und Manifestationen können durch eine
antiretrovirale Therapie positiv beeinflusst werden. Deshalb ist hier eine
Behandlungsindikation gegeben und allen Patienten aus diesen Gruppen
sollte eine Therapie (s. initiale Therapieschemata) dringend empfohlen
werden (AI).
Asymptomatische Patienten
Eine Studie, welche die Frage beantworten könnte, zu welchem Zeitpunkt
bei asymptomatischen Patienten mit einer Behandlung begonnen werden
sollte, gibt es bisher nicht. Aus einer Reihe von Kohortenstudien lässt
sich jedoch ableiten, dass eine Grenze für den Behandlungsbeginn,
unterhalb derer mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität zu rechnen
ist, bei einer CD4-Zellzahl von 200 Zellen/µl liegt. Ein Abfall der
CD4-Zellzahl unter diesen Wert sollte daher nach Möglichkeit vermieden
werden. Asymptomatische Patienten mit <200 CD4+/µl Blut haben unabhängig
vom Ausmaß der Virusreplikation ein deutliches Risiko für eine
immunologische und klinische Progression, das durch eine antiretrovirale
Therapie vermindert werden kann [11,12]. Eine Behandlung für diese
Patienten ist deshalb sinnvoll (AI).
Die Grenzen der Zahl von CD4+-Lymphozyten und der HIV-Last, bei denen eine
Therapie begonnen werden sollte, können beim derzeitigen Kenntnisstand
nur unscharf formuliert werden und liegen im Bereich zwischen 200 und 350
CD4+/µl bzw. im Bereich von unter 15-20% Anteil der CD4-Lymphozyten an
den Gesamtlymphozyten. Als zusätzlicher Parameter für die Dringlichkeit
einer Behandlung in diesem CD4-Zell-Korridor sollte die Höhe der
Viruslast berücksichtigt werden. Je höher die Viruslast, desto
eindeutiger die Behandlungsindikation, dies gilt insbesondere für im
Verlauf deutlich ansteigende Werte [5,11,12]. Für die Entscheidung zum
Therapiebeginn kann auch die Kinetik der ersten drei Messsungen von
Viruslast und Helferzellen hilfreich sein: bei stabilem Verlauf ist eher
ein Abwarten gerechtfertig als bei drei Werten in Folge, die sich jeweils
verschlechtern.
Bei Patienten mit einer CD4-Zellzahl höher als 350/µl und hoher
Viruslast (als vergleichsweise hoch gelten Werte von über 50.000-100.000
HIV-RNA-Kopien/ml) ist die Einleitung einer Therapie vor allem mit einer
deutlichen Besserung der Surrogatmarker verbunden. Die Therapieindikation
ist hier nicht eindeutig, die Therapie wird in der Regel jedoch empfohlen
(BII).
Bei niedriger Viruslast (<50.000) sind Auswirkungen auf
Surrogatmarker weniger deutlich und ein größerer Anteil der Experten ist
in Anbetracht der Probleme einer antiretroviralen Langzeittherapie zurückhaltend
mit der Therapieempfehlung (CIII)[13,14].
Weitere Indikationen
Ein unbekannter Anteil von HIV-infizierten Patienten entwickelt kurz nach
der Infektion und zeitnah gefolgt oder begleitet von der Serokonversion
das sogenannte akute retrovirale Syndrom. Es ist gekennzeichnet durch
konstitutionelle Symptome, morbilliformes Exanthem,
Lymphknotenschwellungen und hohe HIV-RNA-Werte. Daten aus Langzeitstudien
zur antiretroviralen Kombinationstherapie bei diesen Patienten liegen noch
nicht vor. Studien zur Monotherapie mit Zidovudin zeigten, dass die
Viruslast rasch gesenkt werden kann [15], jedoch eine Verbesserung der
Langzeitprognose durch eine Monotherapie anscheinend nicht resultiert
[16]. Eine Therapie mit Kombinationsregimen ist aus pathophysiologischen
Erwägungen aber vertretbar (CII). Nach Expertenmeinung ist die Behandlung
der akuten HIV-Infektion insbesondere bei Beginn in der symptomatischen
Phase oder in der Serokonversion sinnvoll. Bezüglich der Behandlungsdauer
erlauben die vorliegenden Studien keine sichere Angabe eines minimal
notwendigen oder maximal sinnvollen Zeitraums. In bisher durchgeführten
Studien wurde vor kontrollierten Therapieunterbrechungen ca. ein Jahr lang
therapiert.
Die Behandlung dieser Patienten sollte, wenn immer möglich, im Rahmen von
klinischen Studien oder standardisierten Behandlungsprogrammen geschehen,
um diese offene Frage zu klären.
Tabelle
3: Therapieindikationen und -empfehlungen |
Klinisch |
CD4+Lymphozyten/µl |
HIV-RNA/ml (RT-PCR) |
Therapie-
empfehlung |
HIV-assoziierte
Symptome und Erkrankungen
(CDC: C, B) |
Alle Werte |
|
AI |
Asymptomatische
Patienten
(CDC: A) |
< 200 |
Alle Werte |
AI |
200-350 |
Alle Werte |
BII |
350-500 |
> 50.000-
100.000 Kopien |
BII |
< 50.000 Kopien |
CIII |
> 500 |
Alle Werte |
CIII |
Akutes retrovirales
Syndrom |
Alle Werte |
Alle Werte |
CII |
Initiale Therapieregime
Bei der Auswahl der initialen Medikamentenkombinationen sind außer
Viruslast und Krankheitsstadium weitere Faktoren wie besondere
Lebensweise, Komorbidität, und andere notwendige Therapien zu berücksichtigen.
Für eine wirksame Initialtherapie stehen eine Reihe von Optionen zur Verfügung.
Diese Optionen sind im einzelnen:
- Kombination eines - ggf. geboosteten - Proteaseinhibitors (PI) mit
zwei nukleosidanalogen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI)
- Kombination eines nicht nukleosidanalogen Reverse Transkriptase
Inhibitors (NNRTI) mit zwei NRTI
- Kombination von drei NRTI
Es kann sinnvoll sein, in der Initialtherapie mehr als drei Substanzen
(z.B. PI-Boosterung mit Ritonavir) einzusetzen (AII / 14+/ 3± /5-).
Einige Experten befürworten eine primäre Verwendung von vier Substanzen
bei Patienten mit hohem Risiko für ein virologisches Versagen [17,18].
Kombinationen mit Proteaseinhibitoren
Die Wirksamkeit der PI-Kombinationen ist im Gegensatz zu den anderen
Optionen auch bei Patienten mit einem weit fortgeschrittenen Immundefekt
nachgewiesen worden.
Nachteile der gegenwärtig verfügbaren PIs sind eine ungünstige
Pharmakokinetik, die die Einnahme einer großen Zahl von Tabletten in
engen Zeitintervallen erforderlich macht (kann z.B. durch PI-Boosterung
aufgehoben werden) und die Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen.
Metabolische Störungen wie Lipodystrophie, Insulinresistenz und Diabetes
werden unter PI-Kombinationen häufiger als unter anderen Kombinationen
beobachtet.
Kombinationen mit NNRTIs
Für NNRTIs in 3-fach Kombinationstherapie liegen Daten einer
Vergleichsstudie mit Efavirenz +2 NRTI vs. Indinavir +2 NRTI über eine
Dauer von 48 Wochen vor. Die Kombination mit Efavirenz war in allen
Analysen auch bei Patienten mit >100.000 Kopien/ml Plasma der
Kombination mit Indinavir bezüglich des Anteils der Patienten mit nicht
nachweisbarer HIV-Last und bezüglich der Verträglichkeit überlegen
[19].
Auch zur Kombination von zwei Nukleosidanaloga und Nevirapin in der
Initialtherapie liegen Daten einer kontrollierten Studie vor, die zeigen,
dass der Einsatz dieser Kombination zu ähnlichen Ergebnissen führt wie
der Einsatz von 2 NRTIs und Indinavir. Diese Studien wurden allerdings an
Kollektiven mit nicht weit fortgeschrittenem Immundefekt durchgeführt und
können vorläufig nicht auf Patienten mit weit fortgeschrittenem
Immundefekt (z.B. CD4 < 100/µl) übertragen werden. Hierzu sind
weitere Daten zur Effektivität erforderlich.
Vorteile der NNRTI-Kombinationen sind bessere Pharmakokinetik (Nevirapin
wird zweimal täglich, Efavirenz einmal täglich gegeben) und geringere
Zahl von Tabletten. Efavirenz und Nevirapin werden ebenfalls über das
Cytochrom-p450-System metabolisiert, Interaktionen mit anderen
Medikamenten sind deshalb auch hier vorhanden.
Bei einer geplanten Therapieänderung oder -unterbrechung sollten die
langen Halbwertszeiten der NNRTI und die durch sie ausgelöste
Enzyminduktion berücksichtigt werden.
Kombinationen von drei Nukleosidanaloga
Zu 3fach NRTI-Kombinationen liegt eine Studie mit einer Beobachtungszeit
von 48 Wochen vor (Trizivir - Zidovudin+Lamivudin+Abacavir)[20]. Die
Langzeitdaten und die schlechteren Ergebnisse bei hoher Plasmavirämie
(>100.000 HIV-RNA-Kopien/ml) sprechen für eine geringere Aktivität
als bei zwei-Klassen-Kombinationen. Auch für andere
Dreifach-Nukleosidanaloga-Kombinationen konnte keine Gleichwertigkeit
gezeigt werden. Vorteile der 3fach NRTI Kombination sind die einfache
Dosierung (minimal zweimal täglich 1 Kapsel) und geringe Interaktionen
mit anderen Therapeutika.
Einige Experten würden daher unter bestimmten Voraussetzungen
insbesondere Trizivir® als Primärtherapie einsetzen.
Tabelle
4: Basiskombinationen und Kombinationspartner für die
Initialtherapie |
Empfohlene
Kombination |
Nukleosidanaloga |
|
|
Proteaseinhibitor
oder NNRTI oder dritter NRTI |
|
Zidovudin + Lamivudin |
A I |
+ |
Lopinavir + Ritonavir |
A II |
Zidovudin + Didanosin |
A I |
Nelfinavir |
A II |
Stavudin + Lamivudin |
A II |
Efavirenz |
A II |
Stavudin + Didanosin |
B II& |
Nevirapin |
A II*** |
Zidovudin + Zalcitabin |
C I |
Saquinavir (HGC od.
SGC) + Ritonavir |
B II |
|
Indinavir + Ritonavir |
B II # |
Indinavir |
C I/II*& |
Ritonavir |
C I/II*& |
Saquinavir SGC |
C II** |
Amprenavir |
C III** |
Delavirdin |
C II*** |
Zidovudin
+ Lamivudin |
+ |
Abacavir |
B II*** |
im allgemeinen
abzulehnen§ |
2 NRTI
(s.o.) |
+ |
Ohne Kombination |
D II |
eindeutig
abzulehnen§§ |
Kombination
ohne PI-Booster wie Ritonavir |
+ |
Saquinavir HGC |
E II |
|
Zidovudin + Stavudin |
E II |
+ |
Jeder
Kombinationspartner |
Zalcitabin + Stavudin |
E III |
Didanosin + Zalcitabin |
E III |
Zusammenfassende Bewertung
Die Immunrekonstitution bei Patienten in weit fortgeschrittenem
Krankheitsstadium wurde unter PI-freien Medikamentenkombinationen bisher
nicht in gleichem Ausmaß belegt.
Unterschiede im Nebenwirkungsspektrum sind vorhanden. Als klinisch
additiv wirksam (d.h. wirksam in klinischen Endpunktstudien - solche
werden allerdings seit 1996 kaum noch durchgeführt) mit
Nukleosidanalogakombinationen haben sich bisher nur die
Proteaseinhibitoren Indinavir, Ritonavir und Saquinavir erwiesen. Aufgrund
dieser Daten sollte bei Patienten mit weit fortgeschrittenem Immundefekt
(<100 CD4-Zellen/µl) bei Therapiebeginn wenn möglich ein
Proteaseinhibitor Bestandteil der initialen Kombination sein.
Mögliche Therapiealternativen insbesondere für Patienten mit
fortgeschrittenem Immundefekt und/oder sehr hoher Viruslast stellen
Kombinationen von 3 NRTIs + einem NNRTI oder einem PI oder eine
Kombination von Wirkstoffen aus drei Medikamentenklassen dar [21].
Das Konzept der Anhebung (Boosterung) der Plasmaspiegel von
Proteaseinhibitoren durch Zugabe von Ritonavir in subtherapeutischer Dosis
("Babydose") hat sich im klinischen Alltag etabliert. Die Zugabe
von Ritonavir zu Amprenavir, Saquinavir und Indinavir führt zu einem
Anstieg der Talspiegel (minimale Plasmakonzentration im
Dosierungsintervall) und einer Verlängerung der Halbwertszeit bei
moderatem oder geringfügigen Anstieg der maximal erzielten Konzentration
(Spitzenspiegel) [22,23,24,25].
Zu Nukleosidanaloga-freien Kombinationen liegen für
Doppel-PI-Kombinationen und Kombinationen von PI + NNRTI erste Daten zur
Wirksamkeit vor. Wie die Langzeitverträglichkeit solcher Kombinationen
ist und wie und in welchem Umfang sich unter solchen Therapieregimen
Resistenzen entwickeln ist noch nicht geklärt.
Verlaufskontrollen, Monitoring der Therapie, Therapieerfolg und
-versagen
Die wichtigsten Laborparameter für die Verlaufsbeurteilung einer
HIV-Infektion sind die quantitative Bestimmung der CD4+-Lymphozyten und
der HIV-RNA. Sie sollten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und anschließend
in ca. 2-3-monatigen Abständen bestimmt werden, und zwar mit dem jeweils
sensitivsten erhältlichen Test. Einleitung und Umstellungen einer
Therapie sind Indikationen für kurzfristigere Kontrollen.
Bei Patienten unter Therapie, deren HIV-RNA unterhalb der
Nachweisgrenze (z. Zt. 20-50 Genomkopien/ml) liegt, sollte die Viruslast
ca. alle 2-3 Monate kontrolliert werden. Eine signifikante Veränderung
der Virusreplikation ist ab einer Änderung von 0.5-0.7 log10
(entsprechend Veränderungen um den Faktor 3 bis 6) anzunehmen,
signifikante Veränderungen der CD4-Werte sind ab einem Abfall von 30% für
Absolutwerte oder um 3% für Relativwerte anzunehmen. Insbesondere
Messungen, die Anlaß zu einer Neubewertung der Therapie geben, sollten
durch eine kurzfristig abgenommene weitere Blutentnahme kontrolliert
werden. In der Regel sind jedoch Messungen im Abstand von weniger als 4
Wochen nicht notwendig.
Therapieerfolg und -versagen
Ein Therapieerfolg kann frühestens nach 4 Wochen, oft erst nach drei
Monaten und in Einzelfällen erst nach 6 Monaten beurteilt werden. Das
Absinken der HIV-Replikation unter die Nachweisgrenze ist als
Therapieerfolg zu werten. Ein geringerer Abfall der HIV-RNA als 1 log10
nach 4 Wochen oder das Ausbleiben des Abfalls unter die Nachweisgrenze
innerhalb von maximal 6 Monaten ist ein ungenügender Therapieerfolg und
sollte Anlaß sein, additive oder alternative Therapieregime zu erwägen.
Ein ungenügender Therapieerfolg oder ein Therapieversagen können beruhen
auf der verminderten Absorption oder beschleunigten Metabolisierung einer
Wirksubstanz, auf Medikamentenwechselwirkungen, einer vorbestehenden oder
sich entwickelnden Resistenz und/oder einer mangelhaften Therapietreue bei
dem Patienten.
Eine relevante Einbuße der Wirksamkeit liegt wahrscheinlich vor, wenn die
HIV-RNA über den Nadir des Abfalls ansteigt; von einem sekundären
Versagen der Therapie ist auszugehen, wenn die HIV-RNA wieder auf einen
Wert ansteigt, der nur noch 1 log10 unterhalb des Ausgangswertes liegt.
Bei einem durch Kontrolluntersuchung bestätigten Wiederanstieg der
Viruslast in einen niedrig positiven Bereich (bis ca. 1.000
HIV-RNA-Kopien/ml) sollte dringend eine Intensivierung der Therapie
erfolgen.
Hinweise auf eine ungenügende Wirksamkeit sind ferner ein signifikanter
Abfall der CD4+-Lymphozyten (s.o.) sowie eine weitere klinische
Progression. Insbesondere die Bewertung eines Therapieversagens nach dem
letzten Kriterium ist oft nicht einfach zu treffen. Eine antiretrovirale
Therapie kann virologisch wirksam, das Immunsystem aber bereits so schwer
geschädigt sein, daß trotzdem das Auftreten einer opportunistischen
Erkrankung möglich ist. Auch kann die Immunrekonstitution durch eine
begonnene antiretrovirale Therapie zur Exazerbation von Erkrankungen führen
(sog. Immunrekonstitutionssyndrom).
Resistenztestung
Resistenz von HIV gegen antiretrovirale Substanzen wurde schon bald nach
der Verfügbarkeit erster Medikamente beobachtet [26] und Auswirkungen der
Resistenz auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion wurden bereits früh
nachgewiesen [27]. Auch für die moderne Kombinationstherapie existieren
zahlreiche retrospektive Studien, die einen Zusammenhang zwischen
Resistenz und nachfolgendem Therapieversagen belegen [28]. Weiterhin
wurden in den letzten 2 Jahren auch Ergebnisse randomisierter,
prospektiver Studien publiziert, die in ihrer Mehrzahl ein deutlich
besseres Therapieansprechen für die Patienten zeigen, die nach Kenntnis
des Resistenzstatus behandelt wurden [29-34]. Dies führte zur
Implementierung der Resistenztestung in europäische und internationale
Richtlinien zur antiretroviralen Therapie [35,36].
Resistenztestungen sind zur Therapiesteuerung nach erstem oder
mehrfachem Therapieversagen erforderlich. Dabei sollte die Blutabnahme
unter noch laufender Therapie erfolgen. Vor Therapiebeginn, insbesondere
bei kürzlich erfolgter Infektion, ist eine Testung bei Verdacht auf
Infektion mit einem resistenten Virus zu empfehlen. Epidemiologische
Untersuchungen zur Transmission resistenter Viren bei neu infizierten
Patienten sind wünschenswert [37].
Genotypische und phänotypische HIV-Resistenztests sind vom Ansatz und
ihrer Aussage komplementär. Während phänotypische Tests die
Empfindlichkeit eines Virus direkt messen, werden bei genotypischen Tests
Mutationen nachgewiesen, die bekanntermaßen mit Resistenz gegen einzelne
oder mehrere Medikamente assoziiert sind. Eine adäquate Interpretation
genotypischer Resistenzbefunde sollte nach bestem Wissensstand derzeit
verfügbarer Interpretationshilfen und unter Berücksichtigung der
Vortherapie erfolgen. Eine genotypische Testung ist häufig zur
Therapiesteuerung ausreichend. Insbesondere beim Einsatz komplexer
Salvage-Regime und neuer antiretroviraler Substanzen ist allerdings die
zusätzliche Durchführung einer phänotypischen Testung zu empfehlen.
Tabelle
5: Zusammenfassung der Empfehlungen zur Resistenztestung (für
die HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-infizierten
Kindern wird auf die speziellen Empfehlungen der Fachgesellschaften
verwiesen) |
|
Empfehlung |
Therapie-
empfehlung |
Kommentare |
Bisher
unbehandelte Patienten |
Primäre/ kürzliche
Infektion |
Resistenztestung
empfohlen, wenn eine antiretrovirale Therapie begonnen wird oder bei
Verdacht auf Infektion mit resistentem Virus |
B III |
Archivierung einer
Plasmaprobe empfohlen, auch wenn keine antiretrovirale Therapie
eingeleitet wird; Meldung an das Serokonverter-
register des RKI * |
Chronische
Infektion, vor Beginn einer Therapie |
Resistenztestung
empfohlen, wenn Verdacht auf Infektion mit primär resistentem Virus
besteht. |
B III |
Archivierung
einer Plasmaprobe, die möglichst nahe am Infektionszeitpunkt liegen
sollte |
ohne konkreten
Verdacht Resistenztestung zu erwägen |
C III |
Behandelte
Patienten |
Nach erstem
Therapie-
versagen |
Resistenztestung
generell empfohlen vor Therapiewechsel |
A II |
Abklärung der
weiteren Ursachen des Therapieversagens unerläßlich |
Mit umfangreicher
antiretroviraler Vorbehandlung |
Resistenztestung**
generell empfohlen vor Therapiewechsel |
A II |
Abklärung der
weiteren Ursachen des Therapieversagens unerläßlich |
In oder nach einer
Therapiepause |
Resistenztestung
derzeit nur im Rahmen wissenschaftlicher Fragestellungen zu
empfehlen |
D III |
Feststellung einer
Reversion zum Wildtyp |
Medikamentenspiegelbestimmung
Mehrere Studien haben eine Korrelation zwischen der Plasmakonzentration
von Proteaseinhihitoren und deren antiviraler Wirksamkeit nachgewiesen
[38,39]. Obwohl der Nutzen des therapeutischen Drug-Monitorings aus Mangel
an prospektiven Studien noch umstritten ist [40,41] kann die Bestimmung
der Plasmaspiegel in bestimmten klinischen Situationen hilfreich sein.
Jede Entscheidung über eine Dosismodifikation muss die hohe Variabilität
der intraindividuellen Plasmaspiegel zu unterschiedlichen Zeitpunkten
aufgrund von Nahrungseffekten, Krankheitsstadium und Adhärenz berücksichtigen.
Die Indikationsstellung für ein therapeutische Drug-Monitoring ergibt
sich aus den klinisch-pharmakologischen Eigenschaften der eingesetzten
antiretroviralen Medikamente:
NRTIs müssen intrazellulär durch Phosphorylierung in ihre
Wirkform überführt werden. Es besteht keine klare Beziehung zwischen
Wirkung und Höhe der Plasmaspiegel. Eine Medikamentenspiegelbestimmung in
Plasma oder Serum ist bei diesen Substanzen daher nicht sinnvoll.
Proteaseinhibitoren zeichnen sich durch eine erhebliche inter-
und intraindividuelle Variabilität bezüglich ihrer gastrointestinalen
Absorption aus. Der Abbau kann durch andere Pharmaka gehemmt und induziert
werden. Daraus ergeben sich komplexe Interaktionsmöglichkeiten (Tab. 6).
NNRTIs werden besser und gleichmäßiger als die PIs
gastrointestinal absorbiert. Interaktionen beim metabolischen Abbau
spielen ebenfalls eine erhebliche Rolle.
Insgesamt sollte eine Medikamentenspiegelkontrolle bei folgenden
therapeutischen Situationen durchgeführt werden:
- bei komplexen Wirkstoffkombinationen und Begleitmedikationen, die zu
Interaktionen führen können (Tab. 6)
- bei mangelnder Wirksamkeit eines Wirkstoffes oder einer
Wirkstoffkombination
- bei Hinweisen auf eine Absorptionsstörung
- beim Auftreten toxischer Effekte
- bei deutlich eingeschränkter Leberfunktion
Für die Beurteilung der Wirksamkeit ist der Talspiegel der wichtigste
Parameter, während für die Einschätzung des Toxizitätspotentials der
Gesamtverlauf der Medikamentenspiegel betrachtet werden muss.
Tabelle
6: Medikamentenwechselwirkungen zwischen Protease-Inhibitoren
und NNRTI
(Cave! Hohe interindividuelle Variabilität)
Für therapienaive Patienten wird nur die Kombination aus PI, PI+RTV
oder NNRTI+NRTI empfohlen. Wenn eine andere Kombination (z.B.
geboosteter/ungeboosteter Doppel PI oder PI+NNRTI) eingesetzt wird,
gelten die Dosierungen nur dann, wenn das Virus des Patienten auf
dem jeweiligen Genabschnitt vom Wildtyp ist. Das bedeutet z.B., dass
bei der Kombination Kaletra+Fortovase die angegebene Dosierung
ausreicht um das Wildtypvirus zu hemmen, dass aber bei PI
vorbehandelten Patienten mit mutierten Viren die mit der Dosierung
erreichten Spiegel unter Umständen um ein Vielfaches zu niedrig
liegen! |
|
Indinavir |
Ritonavir |
Indinavir |
|
Indinavir-Spiegel:
2-5x erhöht
Ritonavir-Spiegel: AUC und Cmin (im Vergleich zu historischen Daten)
erhöht
Dosierung:
RTV als Booster:
RTV 2x 100mg,
IDV 2x 800mg
(ggf. Dosisreduktion von IDV auf 2x 600mg unter TDM)
oder
RTV 2x 400mg/Tag,
IDV 2x 400mg/Tag |
Ritonavir |
Indinavir-Spiegel:
2-5x erhöht
Ritonavir-Spiegel: AUC und Cmin (im Vergleich zu historischen Daten)
erhöht
Dosierung:
RTV als Booster:
RTV 2x 100mg,
IDV 2x 800mg
(ggf. Dosisreduktion von IDV auf 2x 600mg unter TDM)
oder
RTV 2x 400mg/Tag,
IDV 2x 400mg/Tag |
|
Nelfinavir |
Indinavir-Spiegel
50% erhöht
Nelfinavir-Spiegel 80% erhöht
Dosierung:
NFV 2x 1250mg
IDV 2x 1200mg |
Ritonavir-Spiegel
unverändert
Nelfinavir+M8 Metabolit: Cmax/AUC/C12h auf 1,4/1,4/1,7 fachen Wert
erhöht
Dosierung:
RTV als Booster: (nur bei unzureichenden Spiegeln):
NFV 2x 1250mg
RTV 2x 100mg |
Saquinavir* |
Saquinavir-Spiegel
4-7fach erhöht
Indinavir-Spiegel unverändert
in-vitro Antagonismus!! |
Ritonavir-Spiegel
unverändert
Saquinavir-Spiegel 20fach erhöht
Dosierung:
RTV als Booster:
RTV 2x 100mg
SQV (Fortovase®/ Invirase®) 2x 1000mg
oder
SQV 2x 400mg
RTV 2x 400mg |
Amprenavir |
Amprenavir AUC um
33% erhöht, Cmax und Cmin Erhöhung nicht signifikant
Indinavir (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax/AUC/Cmin
um 22%/38%/27% erniedrigt.
Dosierung (Kombination klinisch nicht untersucht):
APV 2x 600mg
IDV 2x 800mg
RTV 2x 100mg |
Amprenavir: AUC/Cmin
2-4/6-10fach erhöht, Cmax unverändert
Dosierung:
RTV als Booster
APV 2x 600mg - 1200mg
RTV 2x 100mg - 200mg
oder
APV 1x 1200mg
RTV 1x 200mg |
Lopinavir/
Ritonavir |
Erhöhung von
Indinavir AUC und Cmin
Dosierung:
LPV/r 2x 400/100mg
IDV 2x 800mg
(ggf. Dosisreduktion von IDV auf 2x 600mg unter TDM) |
Zusätzliche Gabe
von Ritonavir erhöht Lopinavirkonzentration
Ritonavirspiegel in fixer Loinavir-Ritonavir- Kombination liegt
3fach niedriger als bei Kombination von Ritonavir 100mg bid mit
Indinavir oder Saquinavir |
Nevirapin |
Nevirapin-Spiegel
unverändert
Indinavir:
Cmin/AUC/Cmax um 48%/27%11% erniedrigt
Dosierung:
Indinavir 3x 1000mg
NVP 2x 200mg
(Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht) |
Ritonavir-Spiegel
11% erniedrigt
Nevirapin-Spiegel unverändert
Dosierung:
Standarddosierung |
Delavirdin |
Indinavir-Spiegel
40% erhöht
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung (klinisch nicht ausreichend untersucht):
Indinavir 2x 1200mg
Delavirdin 2x 600mg |
Ritonavir-Spiegel
um ca. 70% erhöht
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung: klinisch nicht ausreichend untersucht |
Efavirenz |
Indinavir-Spiegel
um 30% erniedrigt
Efavirenz-Spiegel unverändert
Dosierung:
Indinavir 3x 1000mg
Efavirenz 1x 600mg
Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht |
Ritonavir-Spiegel
um 15-20% erhöht
Dosierung:
Ritonavir 2x 500mg - 2x 600mg/Tag
Efavirenz-Spiegel um ca. 20% erhöht
Standarddosierung |
|
|
Nelfinavir |
Saquinavir* |
Indinavir |
Indinavir-Spiegel
um 50% erhöht
Nelfinavir-Spiegel um 80% erhöht
Dosierung:
IDV 2x 1200mg
NFV 2x 1250mg |
Indinavir-Spiegel
unverändert
Saquinavir-Spiegel 4-7fach erhöht
in-vitro Antagonismus!! |
Ritonavir |
Ritonavir-Spiegel
unverändert
Nelfinavir+M8 Metabolit: Cmax/AUC/C12h auf 1,4/1,4/1,7 fachen Wert
erhöht
Dosierung:
RTV als Booster: (nur bei unzureichenden Spiegeln):
NFV 2x 1250mg
RTV 2x 100mg |
Ritonavir-Spiegel
unverändert
Saquinavir-Spiegel 20fach erhöht
Dosierung:
RTV als Booster:
RTV 2x 100mg
SQV (Fortovase®/ Invirase®) 2x 1000mg
oder
SQV 2x 400mg
RTV 2x 400mg |
Nelfinavir |
|
Nelfinavir-Spiegel
20% erhöht
Saquinavir-Spiegel 3-5fach erhöht
Dosierung:
NFV 2x 1250mg
SQV (Fortovase®) 2x 1200mg |
Saquinavir* |
Saquinavir-Spiegel
3-5fach erhöht
Nelfinavir-Spiegel 20% erhöht
Dosierung:
NFV 2x 1250mg
SQV (Fortovase®) 2x 1200mg |
|
Amprenavir |
Amprenavir: Cmin
3fach erhöht, Cmax/AUC nicht signifikant verändert
Nelfinavir: (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax/AUC/Cmin
unverändert
Dosierung: ungenügende Datenlage:
(APV 2x 600mg
NFV 2x 1250mg
RTV 2x 100mg) |
Amprenavir: Cmax/AUC
um 37%/32% reduziert, Cmin Reduktion nicht signifikant
Saquinavir: (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax um 21%
erhöht, AUC um 19%, Cmin um 48% reduziert
SQV 2x 1000mg +
RTV 2x 100mg
APV 2x 600mg |
Lopinavir/
Ritonavir |
keine Daten |
Anstieg von
Saquinavir AUC und Cmin
Dosierung:
LPV/r 2x 400/100mg
SQV 2x 1000mg |
Nevirapin |
Standarddosierungen |
Saquinavir-Spiegel
um 25% erniedrigt,
NVP-Spiegel unverändert
Kombination ohne RTV vermeiden
Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht
Evtl. SQV/RTV:
2x 1000mg/100mg
NVP: 2x 200mg |
Delavirdin |
Nelfinavir-Spiegel
2-fach erhöht, antiviral aktiver Nelfinavir-Metabolit um ca. 50%
erniedrigt (der Spiegel des Metaboliten beträgt ohne Gabe von RTV
ca. 20% des Nelfinavir-Spiegels, daher ist diese Reduktion von
geringer Bedeutung)
Delavirdin 50% erniedrigt
Dosierung: klinisch nicht ausreichend untersucht
Kontrolle auf neutropenische Komplikationen in den ersten Monaten |
Saquinavir-Spiegel
5fach erhöht,
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung:
Delavirdin: 2x 600mg
Saquinavir: 2x 1400mg
Kontrolle der Transaminasen |
Efavirenz |
Nelfinavir-Spiegel
um ca. 20% erhöht,
Keine Dosisänderung
Keine Veränderung des EFV-Spiegels
Standarddosierung |
Saquinavir-Spiegel
um 60% gesenkt
Efavirenz-Spiegel um ca. 12% reduziert
wegen starker Erniedrigung des Saquinavir-Spiegels Kombination nicht
zu empfehlen
In Kombination mit RTV ± SQV evtl.
SQV/RTV: 2x 1000mg/100mg
EFV 1x 600mg |
|
|
Amprenavir |
Efavirenz |
Indinavir |
Amprenavir AUC um
33% erhöht, Cmax und Cmin Erhöhung nicht signifikant
Indinavir (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax/AUC/Cmin
um 22%/38%/27% erniedrigt.
Dosierung (Kombination klinisch nicht untersucht):
APV 2x 600mg
IDV 2x 800mg
RTV 2x 100mg |
Indinavir-Spiegel
um 30% erniedrigt
Efavirenz-Spiegel unverändert
Dosierung:
Indinavir 3x 1000mg
Efavirenz 1x 600mg
Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht |
Ritonavir |
Amprenavir: AUC/Cmin
2-4/6-10fach erhöht, Cmax unverändert
Dosierung:
RTV als Booster
APV 2x 600mg - 1200mg
RTV 2x 100mg - 200mg
oder
APV 1x 1200mg
RTV 1x 200mg |
Ritonavir-Spiegel
um 15-20% erhöht
Dosierung:
Ritonavir 2x 500mg - 2x 600mg/Tag
Efavirenz-Spiegel um ca. 20% erhöht
Standarddosierung |
Nelfinavir |
Amprenavir: Cmin
3fach erhöht, Cmax/AUC nicht signifikant verändert
Nelfinavir: (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax/AUC/Cmin
unverändert
Dosierung: ungenügende Datenlage:
(APV 2x 600mg
NFV 2x 1250mg
RTV 2x 100mg) |
Nelfinavir-Spiegel
um ca. 20% erhöht,
Keine Dosisänderung
Keine Veränderung des EFV-Spiegels
Standarddosierung |
Saquinavir |
Amprenavir: Cmax/AUC
um 37%/32% reduziert, Cmin Reduktion nicht signifikant
Saquinavir: (Achtung, Vergleich mit historischen Daten) Cmax um
21% erhöht, AUC um 19%, Cmin um 48% reduziert
SQV 2x 800-1000mg +
RTV 2x 100mg
APV 2x 600mg |
Saquinavir-Spiegel
um 60% gesenkt
Efavirenz-Spiegel um ca. 12% reduziert
wegen starker Erniedrigung des Saquinavir-Spiegels nicht zu
empfehlen
Nur in Kombination mit RTV empfohlen:
SQV/RTV: 2x 1000mg/100mg
EFV 1x 600mg |
Amprenavir |
|
Amprenavir Cmax/AUC/Cmin
erniedrigt
Dosierung:
APV 2x 1200mg
RTV 2x 200mg
EFV 1x 600mg |
Lopinavir/
Ritonavir |
Unzureichende
Datenlage: Hinweise auf Erniedrigung der APV-Spiegel.
LPV-Spiegel vermutlich unverändert
Dosierung (klinisch nicht ausreichend untersucht):
APV 2x 750mg
LPV/r 2x 400mg/100mg |
Reduzierung von
Lopinavir AUC/Cmin um 35-49%/20-25%
Efavirenz-Spiegel unverändert
Dosierung: Lopinavir/Ritonavir 2x 533/133mg
EFV 1x 600mg |
Nevirapin |
Amprenavir-Talspiegel
um 22-42% reduziert
Dosierung:
Klinisch nicht ausreichend untersucht |
|
Delavirdin |
Keine Daten |
|
Efavirenz |
Amprenavir Cmax/AUC/Cmin
erniedrigt
Dosierung:
APV 2x 1200mg
RTV 2x200mg
EFV 1x 600mg |
|
|
|
Nevirapin |
Delavirdin |
Indinavir |
Nevirapin-Spiegel
unverändert
Indinavir: Cmin/AUC/Cmax um 48%/27%/11% erniedrigt
Dosierung:
Indinavir 3x 1000mg
NVP 2x 200mg
(Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht) |
Indinavir-Spiegel
40% erhöht
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung (klinisch nicht ausreichend untersucht):
Indinavir 2x 1200mg
Delavirdin 2x 600mg |
Ritonavir |
Ritonavir-Spiegel
11% erniedrigt
Nevirapin-Spiegel unverändert
Dosierung:
Standarddosierung |
Ritonavir-Spiegel
um 70% erhöht
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung: klinisch nicht ausreichend untersucht |
Nelfinavir |
Standarddosierungen |
Nelfinavir-Spiegel
2-fach erhöht, antiviral aktiver Nelfinavir-Metabolit um ca. 50%
erniedrigt (der Spiegel des Metaboliten beträgt ohne Gabe von RTV
ca. 20% des Nelfinavir-Spiegels, daher ist diese Reduktion von
geringer Bedeutung)
Delavirdin 50% erniedrigt
Dosierung: klinisch nicht ausreichend untersucht
Kontrolle auf neutropenische Komplikationen in den ersten Monaten |
Saquinavir* |
Saquinavir-Spiegel
um 25% erniedrigt,
NVP-Spiegel unverändert
Kombination ohne RTV vermeiden
Kombination mit RTV klinisch nicht ausreichend untersucht
Evtl. SQV/RTV:
2x 1000mg/100mg
NVP 2x 200mg |
Saquinavir-Spiegel
5fach erhöht,
Delavirdin-Spiegel unverändert
Dosierung:
Delavirdin: 2x 600mg
Saquinavir: 2x 1400mg
Kontrolle der Transaminasen |
Amprenavir |
Amprenavir-Talspiegel
um 22-42% reduziert
Dosierung:
Klinisch nicht ausreichend untersucht |
keine Daten |
Lopinavir/
Ritonavir |
Lopinavir Cmin/AUC
um 35-40%/20-25% reduziert.
Dosierung: Eventuell Erhöhung der Lopinavir/Ritonavir-Dosis auf
2x 533/133mg
NVP 2x 200mg |
Lopinavir-Spiegel
Cmin/AUC um 44/25% erhöht
Delavirdin-Spiegel vermutlich geringfügig verringert
Dosierung: klinisch nicht ausreichend untersucht |
Therapiewechsel und -unterbrechung
Änderungen der Therapie können aufgrund von Unwirksamkeit und
Nebenwirkungen notwendig werden. Eine klare Definition eines Versagens
einer antiretroviralen Therapie kann derzeit nicht gegeben werden, eine
Reihe von Experten sehen jeden kontrollierten Wiederanstieg der HIV-RNA
vom nicht messbaren in den messbaren Bereich als Versagen an, die
konservativste Definition geht von einem Wiederanstieg in den Bereich von
weniger als 1 log 10 unterhalb des Ausgangswertes aus. Das bei einem
Therapieversagen auszuwählende Alternativregime sollte einen Wechsel möglichst
aller nicht mehr aktiven Substanzen beinhalten sowie den Einsatz einer
neuen Substanzklasse. Im Regelfall sollte die Auswahl der neuen
Kombination auf Grundlage der Ergebnisse einer Resistenztestung erfolgen.
Insbesondere Entscheidungen über Zweit- und Alternativtherapien erfordern
Spezialkenntnisse und sollten nur von besonders erfahrenen und
informierten Ärzten getroffen werden.
Eine Umstellung einer wirksamen Therapie bei Patienten mit schweren
Nebenwirkungen ist selbstverständlich möglich. Dies ist die einzige
klinische Situation, in der zum Austausch nur eines Medikamentes geraten
werden kann. Bei notwendigen Therapieunterbrechungen sind alle Substanzen
gleichzeitig (ggfs. unter Beachtung der pharmakologischen Daten)
abzusetzen (BIII). Unterbrechungen oder Pausen der antiretroviralen
Therapie werden derzeit in mehreren Studien auf ihre Langzeitwirkung
untersucht.
Therapiepausen
Unterbrechungen der Therapie können vor allem bei Auftreten von
Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten notwendig werden. Ob hierdurch
langfristig ein therapeutischer Nachteil entsteht, ist nicht klar.
Ein relativ neues Konzept zur zeitweisen Unterbrechung der Therapie
sind die sogenannten strukturierten Therapiepausen. Dieses Konzept beruht
auf der Beobachtung, dass in der Phase der Immunrekonstitution durch die
antiretrovirale Therapie die zelluläre Immunantwort gegen
opportunistische Pathogene messbar besser wird, jedoch nicht die
HIV-spezifische zelluläre Immunantwort. Als Grund hierfür wurde eine
mangelnde Antigenpräsenz von HIV nach Absinken der Virämie unter HAART
vermutet. Um eine Reexposition mit HIV-Antigenen natürlich zu erzielen,
wurde das Konzept strukturierter Therapiepausen mit sich abwechselnden
Phasen einer antiretroviralen Therapie und Pausen entwickelt, um so in der
therapiefreien Zeit eine natürliche Autovakzination zu erzielen. Diese
sogenannten strukturierten Therapiepausen werden derzeit nach einer
Vielzahl von Pilot- und randomisierten Studien kontrovers beurteilt.
Aufgrund der Forschungen der letzten Jahre ist deutlich geworden, dass
Therapiepausen in unterschiedlichen klinischen Settings und mit
unterschiedlichen Zielsetzungen auch unterschiedlich bewertet werden müssen.
Derzeit werden Therapiepausen durchgeführt:
- nach nach heutiger Einschätzung sehr frühem Therapiebeginn
- bei Behandlung einer akuten HIV-Infektion während oder kurz nach
der Serokonversion mit dem Ziel der Verbesserung der endogenen
Immunantwort
- vor einem Therapiewechsel bei intensiv vorbehandelten Patienten zur
Reversion oder Reduktion von Resistenz-Mutationen
- zur strategischen Vermeidung von Langzeitnebenwirkungen
- bei toxischen Nebenwirkungen
- bei dringendem Wunsch des Patienten
Für alle diese Situationen sind die Längen der Therapiepausen arbiträr
gewählt worden. Eine definierte Länge einer Therapiepause, die sich in
einer dieser Situationen als "beste" herausgestellt hätte, ist
nicht bekannt. Ebenfalls ist nicht klar zu welchem Zeitpunkt (kritische
CD4-Zellzahl und/oder Viruslast) die Therapie wieder aufgenommen werden
sollte.
Kontrollierte Studien, die untersuchen, ob Therapiepausen zu einer
rascheren Resistenzentwicklung oder auch zu häufigeren klinischen
Komplikationen führen, werden derzeit durchgeführt. Eine abschließende
Bewertung ist derzeit noch nicht möglich. Nach Möglichkeit sollten daher
Therapiepausen zu den unter 2-4 aufgeführten Intentionen innerhalb von
kontrollierten Studien durchgeführt oder beobachtet werden.
Zu 1: Keine Informationen über den Wert oder die Nachteile einer
Therapiepause existieren für die Gruppe von Patienten, bei denen eine
Therapie nach heutiger Einschätzung zu früh begonnen wurde. Die überwiegende
Mehrzahl dieser Patienten hat eine gute Virussuppression und
Normalisierung der Parameter des Immunsystems erreicht. Viele dieser
Patienten sind jedoch besorgt wegen der potentiellen Langzeittoxizität
der Therapie. Eine Entscheidung für die Fortführung oder Unterbrechung
der Therapie bei Patienten dieser Gruppe kann derzeit nur individuell und
ohne klare Evidenz für eine der beiden Optionen getroffen werden.
Zu 2: Positive Effekte von Therapiepausen sind bisher vor allem in
kleinen Pilotstudien bei Patienten mit einer sehr frühen Behandlung bei
akuter HIV-Infektion beobachtet worden. Hier wurden insbesondere bei sehr
früher Behandlung (vor dem 60. Tag nach der Exposition) bei einigen
Patienten Hinweise für eine bessere immunologische Kontrolle der
HIV-Infektion nach mehreren Therapiepausen gefunden. Ob dies Folge der Frühbehandlung
ist oder aber STI zusätzlichen Nutzen haben kann derzeit nicht sicher
abgeschätzt werden.
Die Mehrzahl der Studien wurde bei Patienten mit chronischer
HIV-Infektion durchgeführt. Bei dieser derzeit größten behandelten
Gruppe sind immunologische oder virologische Vorteile durch Pausen nicht
zu erwarten, möglicherweise aber eine Reduktion von Toxizität und Kosten
(siehe unter 4). In einer der wenigen größeren prospektiven Studien (SSIT)
konnte kein immunologischer oder virologischer Vorteil bei chronisch
infizierten Patienten unter STI nachgewiesen werden, es konnte jedoch eine
Reduktion erhöhter Blutfettwerte registriert werden.
Bei einer Therapieunterbrechung oder -pause ist mit einem raschen
Wiederanstieg der Viruslast zu rechnen, welcher vermutlich auch eine Erhöhung
der Infektiosität bedeutet. Darüber sollte der Patient aufgeklärt
werden. Therapiepausen sollten nicht ohne schwerwiegende Gründe bei
Patienten eingesetzt werden, deren Immundefekt (CD4<200/µl) zu Beginn
der Behandlung weit fortgeschritten war oder die initial eine hohe
Viruslast geboten haben (>500.000 Kopien/ml). Hier ist mit einer
raschen und nachhaltigen Verschlechterung der immunologischen Situation
unter STI zu rechnen.
Schwangerschaft, Kinder, PEP
Es liegen Empfehlungen zur antiretroviralen Therapie bei HIV-infizierten
Kindern vor [42]. Zur Therapie in der Schwangerschaft und zur
Postexpositions-Prophylaxe nach HIV-Exposition sind Deutsch-Österreichische
Empfehlungen verfasst worden, deshalb wird an dieser Stelle darauf nicht
eingegangen [43,44].
Die vorstehenden Richtlinien wurden verabschiedet von:
der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) und
der Österreichischen AIDS-Gesellschaft (ÖAG)
sowie
- der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
- der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der
Versorgung von HIV- und AIDS-Patienten (DAGNÄ)
- der Deutschen Cochrane-Gruppe
- der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
- der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG)
- der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI)
- der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
- der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)
- der Deutschen Gesellschaft für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG)
- der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP)
- der Deutschen STD-Gesellschaft (DSTDG)
- der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie
(DGTI)
- der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV)
und
- der Kommission für Antivirale Chemotherapie der Gesellschaft für
Virologie (GfV)
- der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH)
- dem Nationalen Referenzzentrum für Retroviren (NRZ), Erlangen und
- dem Robert-Koch-Institut (RKI)
|