Epilepsie
Cerebrale Krampfanfälle können
- als epileptische Reaktionen und Gelegenheitskrämpfe
(Fieberkrämpfe, Alkohol, metabolische Entgleisungen, Drogen)
- als symptomatische Epilepsien (bei Gehirnkrankheiten und
organischen Hirnschädigungen)
- als idiopathische Epilepsien
auftreten.
Erbliche Belastung spielt eine Rolle.
Pathophysiologie:
- pathologische Erregung in Gruppen von Nervenzellen (Erhöhte Ausschüttung
von exzitatorischen Neurotransmittern , z.B. Glutamat)
- fehlende Begrenzung der Erregungsausbreitung (Verminderte Ausschüttung
oder Reaktion auf Inhibition, z.B. GABA)
Auslöser von Krampfanfällen:
- sensible oder sensorische Reize:
- photogene Epilepsie (Fernseher, Diskothek, Alleebäume)
- audiogene Epilepsie (Akustische oder musikalische Reize)
- Leseepilepsie (durch neuronale Vorgänge im rückwärtigen Teil des
Sprachzentrums)
- Hautreize
Klassifikation nach der Internationalen Liga gegen Epilepsie 1981
- Partielle (fokale) Anfälle
- Einfach partielle Anfälle
- mit motorischen Symptomen
(Sonderform: Jackson-Anfall)
- mit sensiblen Symptomen (Sonderform: Jackson-Anfall)
- mit vegetativen Symptomen
- mit anderen Symptomen
- Komplex partielle Anfälle
(Psychomotorische Anfälle)
- Partielle (fokale) Anfälle mit sekundärer Generalisierung
- bei einfachen partiellen Anfällen
- bei komplex partiellen Anfällen
- Generalisierte Anfälle
- Absenzen
- Myoklonische Anfälle
- Klonische Anfälle
- Tonische Anfälle
- Tonisch-klonische Anfälle (Grand mal)
- Atonische Anfälle
- Nicht klassifizierbare Epilepsien
meist symptomatisch (Auf eine lokale hirnorganische Ursache zurückzuführen,
die oft im CT oder MRT nachweisbar ist)
Je nachdem, ob das Bewusstsein erhalten ist unter scheidet man
- einfache fokale Anfälle (Bewusstsein erhalten, meistens)
- komplexe fokale Anfälle (Bewusstsein nicht erhalten, seltener)
Die epileptische Erregung bleibt meist auf ein rindennahes Areal beschränkt,
kann sich aber auch durch Absteigen zur Formatio reticularis (Hirnstamm und
Thalamus) auf beide Hemisphären ausbreiten ==> sekundäre Generalisierung
Fokus im motorischen Kortex
- Speech arrest, Vokalisation einzelner Silben
- tonische oder klonische Krämpfe einer Gesichtshälfte, eines Körperteils
- Adversivanfälle:
- Fokus im Frontallappen
- Störungen des Antriebs
- komplexe Bewegungsmuster: schnelle Seitwärtsbewegung der Augen und
tonische Drehung des Kopfes zum tonisch angehobenen Arm. Blickwendung
vom Herd weg.
- Bewusstsein erhalten
- Mastikatoriusanfall: Anfall der kontralateralen Kaumuskulatur
sensible (lokale Missempfindungen) oder visuelle Symptomatik
- Kribbelparästhesien, Steifigkeitsgefühl, Kältegefühl
- Schmerzen
- Fehlwahrnehmung einer Eigenbewegung oder Drehbewegung (vertiginöse
Epilepsie) bei Parietallappenanfällen
- Visuelle Symptome:
- Skotome
- Hemianopsien
- Flackern, Lichtblitze, Farbwahrnehmungen
- visuelle Halluzinationen
- Verzerrte Objektwahrnehmung (Metamorphopsie)
- Ausbreitung ("march") von Zuckungen (motorische
Jackson-Anfälle) oder Missempfindungen (sensible Jackson-Anfälle) von
einer Körperregion auf benachbarte Bereiche.
- Durch starke sensible Hautreize im betroffenen Gebiet unterbrechbar:
Aktivierung der aufsteigenden FR.
- Nach dem Anfall oft postparoxysmale Parese (Überschießende
Hemmungsmechanismen)
- Herd ist immer eine umschriebene Hirnläsion der Zentralregion (Hirntumor,
AV-Angiom, Hirnverletzung, perinatale Hirnschädigung)
- Bewusstsein verändert (Verhangen, abwesend), anschließend Amnesie
- motorische Symptome (Stereotypien, szenische Handlungen Versivbewegungen)
- Geruchs- und Geschmacksmissempfindungen
- vegetative Symptome (Speichelfluss, Blässe, Tachycardie)
- verzerrte Umweltwahrnehmung
3 Stadien:
- Aura (epigastrische Aura, gustatorische, olfaktorische, optische Aura,
jamais-vu oder jéjà-vu, Dehnung oder Raffung des Zeitempfindens,
"mental diplopia" = gleichzeitige Wahrnehmung von Umgebung und
Erinnerungen)
- Bewusstseinstrübung, währenddessen oft Automatismen (z.B. orale),
vegetative Begleitsymptome
- Aufhellung des Bewusstseins
Ausgangspunkt ist der Temporallappen:
- mediale Temporallappenepilepsie: epigastrische und
gustatorisch-olfaktorische Auren, komplexe Automatismen
- laterale Temporallappenepilepsie: auditive oder visuelle Aura, häufiger
motorische Anfallssymptome
Generalisierte Anfälle
Generalisierte Anfälle gehen immer mit Bewusstseinsverlust einher.
Krankheitsbegin 4.-14. LJ, Gipfel 6-10. LJ.
Symptome:
- Dauer wenige Sekunden
- Blässe, starrer Blick
- innehalten in der Tätigkeit, keine Reaktion auf Anruf
- ev. Lidmyklonien, nystagmische Augenbewegungen nach oben, leichtes Zucken
der Arme
- ev. Automatismen (Ähnlich den psychomotorischen Anfällen, aber ohne
Aura)
EEG: typische 3 Hz-Spike-wave-Komplexe
bilaterale myklonische Stöße (Schultern, Arme) mit der Dauer von 2-3s
==> Wegschleudern von Gegenständen
EEG: Polyspike-waves
als einzelne Anfallsform, als sekundäre Generalisierung anderer Anfälle.
Gelegenheitsanfälle sind meist Grand-mal-Anfälle.
Bei Anfällen vor dem 25. LJ. ev. Hinweis auf früh erworbene
Hirnschädigung. Bei Anfällen nach dem 25. LJ. immer einen Tumor oder eine
ander Hirn (gefäß)krankheit ausschließen!!
Ablauf:
- Ev. Aura
- Anfallsbeginn mit Krampf der Muskulatur ==> Initialschrei
(Atemmuskulatur bei geschlossener Stimmritze).
- Tonischer Krampf: Beine Überstreckt, Arme gestreckt oder gebeugt. Zyanose
durch sistierende Atmung.
- Klonische Krampfphase: Rhythmische Zuckungen für 1-5 Minuten. Dabei
häufig seitlicher Zungenbiss (==> blutiger Schaum). Oft Enuresis,
gelegentlich Stuhlabgang
- Nachschlafphase: Patient ist schwer erschöpft, atmet schwer röchelnd.
Dauer für minuten bis Stunden. NAch dem Erwachen oft postparoxysmale
Verwirrtheit über Stunden bis Tage.
Komplikationen:
Frakturen (Wirbelkörper)
Schulterluxationen, Unterkieferfrakturen
Zusatzverletzungen durch den Sturz
EEG:
- Vor dem Anfall Abflachung, dann Spike-Potentiale
- Tonische Phase: Serie von hochfrequenten Spitzenpotentialen
- Klonische Phase: Steile Potentiale mit langsameren Nachschwankungen.
- Nachschlafphase: Langsame Wellen (DD. zur Synkope, dort ist das EEG nach
dem Anfall normal)
Besondere Formen:
- Aufwach-Grand-mal (Häufig kombiniert mit anderen generalisierten
Anfällen)
- Schlaf-Grand-mal
Status epilepticus
Ununterbrochene oder sich ständig wiederholende epileptische Anfälle für
mehr als 30 Minuten
Grand-mal-Status
Wacht der Patient zwischen den Anfällen auf : "Grand-mal-Serie"
Durch Temperaturanstieg und langdauernde Hypoxie ==> Hirnödem ==>
Lebensgefahr
Ursachen:
- Gehirntumoren (insbes. Schädigung des Stirnhirns)
- offene Hirnverletzungen
- unregelmäßige Medikamenteneinnahme bei Epilepsie
- Alkoholentzug
- Hypoglykämie
- Intoxikationen (Kokain, Ecstasy), Drogen
Pathomechanismus:
Versagen des Hemmmechanismus, der sonst den Anfall beendet.
Absencenstatus
Lang andauernde Absencen, im EEG 3Hz-Spike-wave-Komplexe (DD zum Status
psychomotorius)
Status psychomotorius
Im psychomotorischen Status können die Patienten weite Wege (auch mit dem
Auto oder der Bahn) zurücklegen. Extrem selten kommt es dabei zu kriminellen
Handlungen.
Status partieller motorischer Anfälle (Epilepsia partialis continua)
Kojevnikow-Syndrom
Ursache:
- Kortex-Läsion (Tumor, Enzephalitis, Infarktnarbe)
- nichtketotische, hyperosmolare Hyperglykämie (keine entwässernden
Infusionen!)
Patienten sind bei Bewusstsein und erleben die epileptische Aktivität der
Extremität oder des Gesichts als äußerst quälend.
Diagnostik
EEG: ein normales EEG schließt aber eine Epilepsie nicht aus!
EEG + Videoaufzeichnung erlauben die Korrelation von Anfällen und EEG.
Dazu werden ev. noch Provokationsverfahren eingesetzt:
- Hyperventilation (bes. bei generalisierten Anfällen: Aufwachtyp, Absencen)
- Photostimulation
- photic driving = Aneinanderreihung von VEP ==> gesteigerte
Synchronisationsbereitschaft
- Schlafentzug
MEG zeigt Herde für eine OP-Planung exakt an.
CT, MRT
Therapie
Allgemeine Lebensführung: Vermeidung von auslösenden Stimuli, Einhalten des
Schlaf-Wach-rhythmus, Alkoholvermeidung, Kein Extremsport.
Medikamente:
- Carbamazepin (CBZ): Deleptin®, Neurotop®, Tegretol®
- Phenytoin (Diphenyhydantoin = DPH): Epanutin®, Epilan®,
Phenhydan®
- Valproinsäure (VPA): Convulex®, Depakine®
- Phenobarbital (PHB):
- Ethosuximid (ETX): Petinimid®, Suxinutin®
- Benzodiazepine
- Lamotrigin (LTG): Lamictal®
- Vigabatrin (VGB): Sabril®
- Felbamat (FBM): Taloxa®
- Gabapentin (GBP): Neurontin®
Je nach Anfallstyp wirken bestimmte Medikamente:
Anfallstyp |
Substanzen |
Einfache oder komplexe partielle Anfälle |
- CBZ
- DPH
- +VGB
+VPA
+LTG
+GBP
|
Sekundär generalisierte fokale Anfälle |
- CBZ
- DPH
- DPH+CBZ+(VPA, LMT, VGB)
- PHB
|
Grand-mal-Anfälle - Status |
- Benzodiazepine
- DPH
- VPA
|
Grand-mal-Anfälle - Intervall |
- VPA
- PHB
- VPA+LTG
|
Absencen |
- VPA
- ETX
- VPA+ETX(+LTG)
|
Myoklonische Anfälle |
- VPA od. Primidone
- VPA
|
Überwachung der Serumspiegel erlaubt Bestimmung von Interaktionen und
Dosierung im hohen therapeutischen Bereich.
Durchbrechung des Status epilepticus:
- Benzodiazepine als Bolus
1-2mg Conazepin (Rivotril® ) oder 10mg Diazepam (Valium®)
langsam i.v. oder als Rektiole
- Phenytoin (Epanutin®) 250mg über 5-10 Min.(EKG!)
Clonazepam 4-16mg/24Std. nach Bolusgabe von 1-2mg
Valproat 5-10mg/kg über 3-5 min.
- Intubation, Beatmung
Thiopental oder Phenobarbital
- Propolfol, Lidocain, Clomethiazol, Isoflurane-Inhalation
Chirurgische Therapie
Bei Therapieresistenz gegen die Medikamente erster Wahl in Monotherapie und
Kombination, eingrenzbarem Fokus und einer zu erwartenden Verbesserung der
Lebensqualität kann bei inakzeptabel hoher Anfallsfrequenz eine chirurgische
Therapie angegangen werden.
Wichtigste Methoden sind
bei Temporallappenepilepsie: die Resektion des vorderen Temporalpols oder die
selektive Amygdala-Hippokampektomie
Seltener die Kallosotomie oder die Hemisphärektomie.