Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)
Hilda Mraz © Foto: DÖW |
Name: Mraz Hildegard
Name russisch: Мрац Гильда Иогановна Geboren: 05.09.1911, Siebenhirten (NÖ) Beruf: Wissenschaftlerin, Bibliothekarin Letzter Wohnort in Österreich: Wien Ankunft in Russland/Sowjetunion: 25.04.1934 Wohnorte in der Sowjetunion: Moskau, Kušnarenkovo Verhaftet: 02.05.1945, Wien Anklage: Landesverrat Urteil: 28.08.1945, Sonderberatung (OSO), 8 Jahre Lagerhaft Gestorben: 30.03.1997, Wien Rehabilitiert: 27.01.1965, Militärtribunal des Moskauer Wehrkreises Emigrationsmotiv: Schutzbund-Emigration Schicksal: überlebte Kurzbiografie: Hildegard (Hilda) Mraz (geb. Beintinger) wurde 1911 in Siebenhirten geboren, das damals noch nicht zu Wien gehörte. Sie war die älteste von drei Schwestern. Ihre Eltern waren aktive Vertrauensleute der SDAP und arbeiteten in der Osram-Glühlampenfabrik in Wien. Nach der Matura 1930 an einer Handelsakademie studierte sie an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, gleichzeitig arbeitete sie 1932/33 als Statistikerin in der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle (mit Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld). Hilda Mraz war ab 1928 Mitglied der SAJ in Wien-Meidling, Schriftführerin und Obmann-Stellvertreterin, später Bildungsfunktionärin. 1934 wurde sie Mitglied der KPÖ. Hilda Mraz nahm im Februar 1934 als Kurier an den Kämpfen teil und gelangte mit ihrem Mann Lorenz Mraz im April 1934 mit dem ersten Schutzbundtransport über die ČSR nach Moskau. Ihre erste Arbeitsstelle war die 7. Druckerei, wo auch ihr Mann arbeitete. Da sie das Druckerblei nicht vertrug, wechselte sie im Dezember 1934 in das Marx-Engels-Institut, wo sie als wissenschaftliche Assistentin bis Februar 1939 tätig war. Danach war sie fallweise als Sprecherin für deutschsprachige Sendungen von Radio Moskau tätig und arbeitete als Bibliothekarin in der Akademie der Wissenschaften, später im Internationalen Agrarinstitut. Wie ihr Mann war sie Mitglied des Moskauer Schutzbundkollektivs. 1936-1939 war sie für die Verteilung der MOPR-Unterstützungsgelder an jene Frauen verantwortlich, deren Männer in den Internationalen Brigaden in Spanien dienten. Ihre Aufgabe war auch die Verständigung von Familien, deren Angehörige in Spanien gefallen waren, was sie sehr belastete. Jahrelang kassierte sie die Mitgliedsbeiträge der KPÖ-Mitglieder im Schutzbundhaus. Wie alle Leitungsmitglieder der KPÖ in Moskau und in anderen Städten der UdSSR diente auch sie als Zuträgerin über "abweichendes" Benehmen österreichischer Politemigranten. Ein Jahr lang besuchte sie einen Abendkurs an der Komintern-Kaderschule KUNMZ. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde Hilda Mraz aufgefordert, an einem Lehrgang des EKKI teilzunehmen, wo sie unter dem Decknamen Hilde Karaseva ab September 1941 zunächst in Moskau und später in Kušnarenkovo bei Ufa zur Fallschirmagentin ausgebildet wurde. Mit Aloisia Soucek sprang Hilda Mraz im Juni 1943 mit dem Fallschirm südlich von Warschau ab und gelangte erfolgreich nach Wien, ihrem Einsatzort. Die beiden Frauen fielen am 4. Jänner 1944 in die Hände der Gestapo; der Leiter der Gruppe, Gregor Kersche, war zuvor von der Gestapo verhaftet worden und hatte unter der Folter ihre Adresse preisgegeben. Kersche, Mraz und Soucek verbrachten 14 Monate in den Folterkellern der Gestapo am Morzinplatz. Laut dem Mithäftling Josef Sasso hat sich Hilda Mraz in der Haft "gut verhalten". Im April 1945 flüchteten die Gestapobeamten und die Frauen kamen frei. Auf der Straße sprachen Soucek und Mraz einen sowjetischen Offizier an, der sie zu einer Dienstelle des militärischen Nachrichtendienstes SMERŠ (Смерть шпионам!) nach Purkersdorf brachte. Über Steinamanger in Ungarn wurden sie in einem Militärflugzeug nach Moskau transportiert, wo sie erfuhren, dass sie verhaftet waren. Ihr "Verbrechen" war, dass sie die Gestapo-Haft überlebt und damit nach sowjetischer Lesart Landesverrat begangen hatten. Am 2. Mai 1945 verhaftet, wurden sie am 28. August 1945 zu je acht Jahren Lagerhaft verurteilt. Mraz wurde in den Hohen Norden nach Vorkuta verfrachtet, wo sie als Holzfällerin, in der Landwirtschaft und in einem Steinbruch eingesetzt wurde. 1952 erkrankte sie schwer, ein Unterleibstumor wurde erfolgreich entfernt. Nach Verbüßung der Lagerstrafe verbannte man Mraz nach Kasachstan, wo sie in einer Kolchose arbeiten musste. Schließlich fand sie Arbeit als Kindermädchen bei einem befreundeten Ehepaar. Nachdem sie aus der Zeitung vom österreichischen Staatsvertrag erfahren hatte (ihre Verbannung ging im September 1955 zu Ende), richtete Hilda Mraz im Mai 1956 ein Ansuchen an das sowjetische Rote Kreuz und ersuchte um Heimfahrt nach Wien zu Mutter und Schwestern. Das ZK der KPdSU holte die Meinung der KPÖ zu ihrer Rückkehr ein, die positiv ausfiel. Bevor alle Formalitäten erledigt waren und sie im Dezember 1956 ausreisen durfte, wohnte Hilda Mraz wieder im Schutzbundhaus, bei Anna Pischa, der Witwe des 1938 hingerichteten Johann Pischa. Vor ihrer Abfahrt verlangte sie die Rückgabe ihres Eigentums, das sie 1944 im Schutzbundhaus (in der Wohnung von Anna Kersche) deponierte hatte. Bei der Aushebung ihres Kaderakts 1992 in Moskau entdeckte Barry McLoughlin einen Teil ihres Eigentums in den dicken Mappen – ihre Fotoalben, die 1945 vom Suchtrupp des NKVD konfisziert worden waren. Am 4. Dezember 1956, kurz vor ihrer Abfahrt nach Moskau, hatte Hilda Mraz auch um ihre gerichtliche Rehabilitation angesucht. Die Antwort darauf erhielt sie erst 1965 in Wien und, wie damals in vergleichbaren Fällen üblich, nur mündlich und ohne Details von Siegfried Fürnberg, der sie an ihrem Arbeitsplatz im Globus-Verlag anrief. Bis zur Pensionierung arbeitete Hilda Mraz als Buchhalterin im Buchversand der KPÖ. Da sie als Hilfsarbeiterin eingestuft wurde, war ihre Pension sehr klein. Ihr Mann Lorenz Mraz, am 16. Juni 1908 in Wien geboren, war 1934-1936 Teilnehmer der KUNMZ-Tageskurse in Moskau. Weil seine Angaben über seine politische Vergangenheit in Österreich und seine Beteiligung an den Kämpfen im Februar 1934 von einigen Meidlinger Schutzbündlern in Moskau stark in Zweifel gezogen wurden, wurde Mraz bei der Schließung der Schule nicht in die Internationale Leninschule überführt. Lorenz Mraz war von 1936 bis 1939 Kompaniekommandeur bzw. Bataillonskommissar in den Internationalen Brigaden. Ab Mai 1939 arbeitete er wieder als Buchdrucker in Moskau. Ab dem 6. August 1940 war er sowjetischer Staatsbürger. 1941 meldete er sich freiwillig zur Roten Armee, kam auf eine Kundschafterschule des NKVD und galt seit 1942 als im Einsatz umgekommen. Das letzte Lebenszeichen von ihm hatte Hilda Mraz 1941 erhalten, einen Brief aus Kujbyšev, wohin sein Lehrgang aus Moskau evakuiert worden war. Unmittelbar vor ihrer Abreise aus Moskau Anfang Dezember 1956 bat Hilda Mraz das ZK der KPdSU in einem Brief um Information über das Schicksal ihres Mannes. Kurz darauf richtete Friedl Fürnberg eine gleichlautende Anfrage an dieselbe Adresse. Im Juni 1957 wurde die sowjetische Botschaft in Wien beauftragt, der KPÖ lediglich mitzuteilen, dass Mraz "bei seinem Einsatz im Hinterland der Wehrmacht" ums Leben gekommen sei. In Wirklichkeit kannten die betreffenden sowjetischen Stellen schon 1945 die Umstände seines Todes. Da das sowjetische Innenministerium keine Unterlagen über seinen Tod besaß, wurde das Ansuchen der KPÖ, eine Sterbeurkunde nach Wien zu übermitteln, abgewiesen. Erst 1995 erfuhr Hilda Mraz von Barry McLoughlin, wie ihr Mann ums Leben kam. Zusammen mit Franz Löschl (ebenfalls Schutzbündler und Spanienkämpfer, Deckname Max Rieger) wurde Mraz für einen Agenteneinsatz in Österreich und Deutschland vorbereitet. Weil Österreich damals außerhalb der Reichweite sowjetischer Flugzeuge lag, schickte der NKVD Löschl und Mraz nach Großbritannien, damit sie von der britischen Sabotageorganisation SOE (Special Operations Executive) weiter ausgebildet und mit der RAF über dem Zielgebiet abgesetzt werden konnten. "Operation Whiskey" musste jedoch wegen Schlechtwetters zweimal abgesagt werden. Ein dritter Versuch kam unter Druck der Sowjets zustande, allerdings mit unerfahrenen Piloten. In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1942 stürzte das Flugzeug in den Blaubergen oberhalb von Kreuth in Bayern ab. Hilda Mraz starb am 28. Juli 1997 in Wien. Quelle: Interview, RGASPI, DÖW, Wiener Friedhofs-DB Anmerkung: S. auch Leopold Spira: Hilde Mraz. In: Memorial. Österreichische Stalin-Opfer.- Wien (Junius) 1990, S. 79-83.
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