TAUSCHE IGLU GEGEN WIGWAM
Eine international schon
langbewährte Form des Urlaubsquartiers
findet auch bei uns immer mehr Anhänger: die
Tauschwohnung. Eine Art, fremde
Länder und Leute besonders intim kennen zu
lernen,
die neben finanziellen noch eine Reihe
weiterer Vorteile hat.
Das Angebot war ebenso verlockend wie
geheimnisvoll: "Wir haben drei Busen in einem Uhr",
stand - unter anderem - in einem Brief zu lesen, mit dem wir
eingeladen wurden, unser Haus in Wien
für etliche Ferienwochen einer südfranzösischen
Familie zur Verfügung zu stellen und dafür diese
Zeit in deren Heim am Rande der altehrwürdigen
Universitätsstadt Montpellier zu ver- bringen.
(Als uns klar geworden war, dass damit nicht
ganz besondere anatomische Reize angepriesen werden
sollten, sondern Art und Dichte der verfügbaren
öffentlichen Verkehrsmittel, machten wir den Vorschlag, unsere weitere
Korrespondenz in Englisch zu führen.)
"Und das traut ihr euch
so ohne Weiteres", hieß die fast immer gleichlautende
Frage, wenn wir irgendjemand von unserer
Ab- sicht erzählten, auf den Handel einzugehen. "Wildfremde Menschen
in euer Haus zu lassen?"
Nun, ganz wildfremd nicht. Wir
wußten immerhin einiges über unsere Partner. Das
Alter: ein wenig gesetzter als die Mitglieder unserer
Familie, sowohl Eltern als auch Kinder. Schäden
an Möbeln, Türen und Wänden, hervorgerufen durch dreiradfahrende
Knirpse waren also kaum zu befürchten. Der Beruf: Universitätsprofessor
er, Gymnasiallehrerin sie, die drei Töchter im
Gymnasium und auf der Hochschule. Ein gewisses Bildungsniveau
war zu erwarten, das damit üblicherweise einhergehende Maß
an Zivilisation begründet zu erhoffen.
Keine Schätze, keine Geheimnisse
Sonderliches an Pretiosen besitzen wir ohnehin
nicht, und das wenige, was des Stehlens wert wäre,
haben wir in der Urlaubszeit immer schon lieber einem Banksafe
als der Einbruchsicherheit unserer Türschlösser anvertraut.
Den Schlüssel zu der Vitrine, die meine kleine Sammlung
alter Gläser birgt, die ich ungern in einem Geschirrspüler
zerbrechen oder erblinden sehen möchte, habe ich ganz einfach abgezogen.
"Und dass sie euch überall
herumstierln, in alles ihre Nase stecken können, das stört
euch gar nicht?" Schlicht und einfach: Nein. Als einer,
der selber immer auf Entdeckungen aus ist, habe ich auch für die Neugier
anderer größtes Verständnis. Schließlich:
Was hätte ich zu verbergen?
Natürlich, ein gewisses Risiko
ist immer dabei, wenn beispielsweise jemand mit Elektrogeräten
hantiert, deren verborgene Mucken ihm noch nicht durch jahrelangen
Umgang vertraut sind. Da könnte schon durch Bedienungsfehler etwas
kaputt gehen. Ein Teller kann zerbrechen (Wir haben in
Frankreich selbst eine Kaffeekanne zertrümmert, aber eben
im nächsten Supermarkt nachgeschafft), ein
Tischtuch einen Brandfleck bekommen. Alle großen und
kleinen Unfälle, die man selber verschulden könnte, können
auch einem Gast zustoßen, aber eben uns selbst auch. Für wirklich
gravierende Schadensfälle gibt
es immer noch Haushaltsversicherungen.
Es gab, nebenbei, im konkreten Fall nicht
einmal kleine Katastrophen, und wir hatten recht behalten, darauf
zu vertrauen, dass unsere Partner immerhin dasselbe Interesse wie
wir hatten, ihr Domizil möglichst unversehrt wieder zu finden.
Alle Risken schließlich werden bei weitem aufgewogen, durch
die, die man vermeidet, wenn man sein Haus nicht wochenlang leerstehen lässt; Eigentumsverteilern nicht durch
geschlossene Fensterläden,
von Postwürfen überquellende Briefkästen und das Fehlen
von jeglichem Leben signalisiert:
Wir sind nicht da;
den Tiefkühltruheninhalt nicht irgendeinem Gewitter
ausliefert, das den Hauptschutzschalter außer Gefecht
setzt; einem Wasserrohrbruch keine Chance gibt, wochenlang
unbemerkt zu sprudeln. Abgesehen von der Annehmlichkeit,
seine Zimmerpflanzen nicht außer Haus zur Pflege
bringen und sich nach der Rückkehr nicht durch hüfthohes Gras
im Garten kämpfen zu müssen.
Tausende Angebote zur Auswahl
"Und wie seid ihr zu denen
gekommen?" Ganz einfach: Es gibt einen Verein, ursprünglich
von Lehrern gegründet, bei denen ja die Menge an verfügbarer
Ferienzeit nicht unbedingt im günstigsten Verhältnis
zum verfügbaren Urlaubsbudget steht. Diesem
Verein schickt man einen Jahresobolus und
ein Anmeldeformular zu, in dem man nicht nur sein eigenes
Angebot beschreibt, sondern auch seine Wünsche bekannt
gibt. Dafür erhält man, aufs
Jahr verteilt, vier Kataloge mit den Tauschangeboten.
Dann schlägt man die Seiten mit dem Land auf,
das man sich in den Kopf gesetzt hat und schaut nach,
ob denn von dort jemand nach Österreich möchte. Und wenn
die beiderseitigen Wünsche zusammenpassen, greift man zum
Telefon, oder schreibt einen Brief. Profis
haben da schon hektographierte Blätter, in
denen sie die Vorzüge ihrer Ubikation anpreisen,
denn natürlich rechnet man mit Streuverlusten und schreibt an
alle, die irgendwie in Frage kommen.
Man kann es aber auch so wie
wir machen, die wir rasch fest- gestellt hatten: Die Nachfrage
nach Wien ist wesentlich größer als das Angebot an Wiener
Tauschobjekten. Also taten wir zunächst gar
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nichts, sondern warteten, was denn da auf uns zukam.
Und kaum, dass der Katalog erschienen war,
flatterten die Briefe. Da wir, aus Mangel an innerfamiliären
Konsens, unser Wunschziel nur sehr vage mit "Europa" und "Meeresstrandnähe"
angegeben hatten, flatterten sie - mit Ausnahme
der britischen Inseln, wo man sich durch diese Bezeichnung
offenbar nicht adressiert fühlte, - aus ganz Europa: drei aus
Frankreich, drei aus Italien, vier aus Finnland, zwei aus Schweden, zwei
aus Dänemark und je einer aus den Niederlanden, dem Schwarzwald,
aus Spanien und von den Kanarischen Inseln.
Absagen nur mit Vorbehalt
Nun half alles nichts mehr,
es musste familienintern eine Einigung gefunden werden.
Und nachdem man sich für Südfrankreich entschieden, das
Arrangement telefonisch und brieflich fixiert hatte, galt es, die
österreichische Vereinszentrale zu informieren
und den übrigen 17 Bewerbern bedauernde Absagebriefe
zu schicken (immer mit dem Zusatz, dass man ja vielleicht nächstes
Jahr, oder so...).
Eine Reihe von Briefen und Telefonaten
wechselten noch zwischen Wien und Montpellier hin und
her: Der Termin musste noch präzisiert, das sichere Auffinden
der Adressen beschrieben werden. Man tauschte Wünsche nach besonderen
Empfehlungen und Tipps aus (eine Liste sehenswerter
Jugendstilbauten in Wien, die Adressen von Puppenbühnen im Umkreis
von Montpellier...). Die Franzosen wollten per
Bahn anreisen, ob sie vielleicht unser Zweitauto benutzen wollten...?
Da vereinbart worden war, dass wir schon vor der
Abreise unserer Partner in Montpellier eintreffen sollten,
konnten sie uns persönlich in die Geheimnisse ihres Hauses einweihen:
dass es die Sicherungen nicht mögen, wenn Waschmaschine,
Geschirrspüler und Fernsehapparat gleichzeitig laufen;
dass das Zimmer, das an ein Altpapierdepot
erinnerte, das Arbeitszimmer des Hausherrn und
für Kinder tabu ist; dass der Bäcker täglich ins Haus
liefert; dass es für den Reparaturfall Arrangements mit Elektriker
und Installateur gibt, wonach unsere Gastgeber nach ihrer Rückkehr
mit ihnen verrechnen würden, und dass wir unbedingt
in Wien anrufen sollten, falls Post vom Erziehungsministerium käme.
Wir hatten in Wien Freunde mobilisiert,
die eine ähnliche Einweisung übernahmen und auch
während der gesamten Zeit mit Rat und Hilfe zur Verfügung
standen. Die Sicherungen waren in Englisch beschriftet, eine Anweisung
fürs Blumengießen hinterlegt,
etliche Garderobekästen freigemacht. Sämtliche
Gebrauchsanweisungen für Geräte (Gottseidank ohnehin
meist mehrsprachig) lagen ebenso bereit wie ein Kompendium von Karten,
Führern, Fahrplänen, eine Liste der Einkaufsmöglichkeiten und
Restaurantempfehlungen.
Unsere Partner, Haustauscher mit bereits mehrjähriger
Erfahrung, hatten in dieser Hinsicht besonders
gut vorgesorgt. Da gab es nicht nur Straßenkarten
und Stadtpläne der gesamten Region von der Provence bis zu
den Pyrenäen, sondern auch detaillierte
Ausflugstipps für jede Wetterlage, Hinweise
auf die schönsten Badeplätze und
Adressen erprobter Obst- und Weinbauern. Nachdem
man uns mit Sekt willkommen geheißen hatte, wurden
wir dem Nachbarn vorgestellt, eine kleine Rundfahrt
machte uns mit den Versorgungseinrichtungen - Supermarkt,
Fleischhauer, mindestens drei Apotheken, Post, Bank, usw. -
vertraut, ehe unsere Partner den Schlafwagen Richtung Wien bestiegen.
Urlaub mit dem kompletten Haushalt
Und dann hatten wir drei
Wochen Zeit, die Vorzüge dieser Art
von Urlaubsdomizil zu genießen: Neben
den offen zu Tage liegenden Kostenvorteilen vor allem
- verglichen mit jeder anderen einigermaßen erschwinglichen
Ferienunterkunft - jede Menge an Platz und jede Menge der selbstverständlichen
Dinge, die man zu Hause natürlich hat, in Hotels,
Pensionen der Ferienappartements aber nur allzu oft schmerzlich vermisst.
Ein eigenes Zimmer für jedes Kind (sogar mit jeweils
einer eigenen Stereoanlage),
darüber hinaus ein vandalensicherer
Autoabstellplatz gleich vorm Haus, ein kleiner Garten mit
Grillkamin zum Braten des selbst auf dem Markt erstandenen Fischs, eine
komplette Strandausrüstung vom
Sonnenschirm bis zur Kühltasche für
kalte Getränke, natürlich die Waschmaschine,
die das Urlaubsgepäck auf ein absolutes Minimum reduzieren
hilft, der Werkzeugkasten, den man für kleinere Reparaturen
an Auto, Schuhwerk und Fotoapparat benötigt, der Videorecorder
samt umfangreicher Videothek, auf die man vielleicht bei Schlechtwettertagen
gerne zurückgegriffen hätte, und, und, und...
Und obwohl wir
feststellen mussten, dass die Sauberkeits-
und Ordnungsvorstellungen auch von Universitätsprofessoren von den
unsrigen etwas abweichen können, stellten
sich gewisse Befürchtungen, den Zustand unseres
Hauses nach unserer Rückkehr betreffend, als völlig
unbegründet heraus: Wir fanden unser Heim
vor, wie wir es verlassen hatten. Einzig und allein die Bettwäsche
war nicht gewaschen, sondern neben der Waschmaschine bereitgelegt.
Jedenfalls: Unser nächstjähriger
Osterurlaub in Florenz ist schon so gut wie fixiert.
Walter Persché
Nachdruck auszugsweise mit freundlicher
Genehmigung der Tageszeitung "Die Presse" aus DIE PRESSE/MAGAZIN
v.30.10.1986
Nachdruck - auch nur auszugsweise - nur mit Genehmigung
des Verlegers "Die Presse", Parkring12a, 1015 Wien.
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