LISTE

Österreichische Stalin-Opfer (bis 1945)

Name: Marchesetti Victor von
Name russisch: Маркезетти Виктор Александрович
Geboren: 27.09.1874, Wien
Beruf: Offizier, Bibliothekar
Letzter Wohnort in Österreich: Wien
Ankunft in Russland/Sowjetunion: 1918
Wohnorte in der Sowjetunion: Petrograd (Leningrad)
Verhaftet: 08.09.1937, Leningrad
Anklage: Spionage, terroristische Aktivitäten
Urteil: 10.01.1938, Sonderberatung (OSO), Tod durch Erschießen
Gestorben: 15.01.1938, Leningrad
Rehabilitiert: 01.07.1975, Militärtribunal des Leningrader Wehrkreises
Emigrationsmotiv: andere
Schicksal: erschossen
Kurzbiografie: Victor von Marchesetti wurde 1874 in Wien geboren, sein Vater war Rittmeister in der k.u.k. Armee, die Mutter Tochter eines Offiziers. Nach sechs Jahren Schulbesuch in Wien übersiedelte er 1886 mit der Mutter, die in zweiter Ehe einen Amerikaner geheiratet hatte, nach St. Petersburg, weil der Stiefvater dort die Leitung der russischen Tochterfirma einer amerikanischen Versicherung übernahm. 1894 schloss Marchesetti das reformierte Gymnasium in St. Petersburg ab und übersiedelte 1895 nach Triest, wo sein Cousin Carlo de Marchesetti Direktor des Museo di Storia Naturale war. Dort absolvierte er eine einjährige militärische Ausbildung, die er im folgenden Jahr in Wien an der k.u.k. Kriegsschule fortsetzte. Anschließend studierte er an der Technischen Hochschule in Wien. Er kehrte dann nach St. Petersburg zurück, wo er bis 1897 in der Auslandsabteilung der Industrie- und Handelsbank arbeitete. Nach kurzer Zeit bei der Aktiengesellschaft Stahl übersiedelte er wieder nach Wien, trat in den Militärdienst ein und diente im Hafen Pola (Pula). Im Jahre 1900 quittierte er den Dienst und wurde Beamter im Eisenbahnministerium. Im Ersten Weltkrieg diente er im Generalstab. Als Mitglied der österreichischen Delegation nahm er an den Friedensverhandlungen von Brest-Litovsk teil, von wo er mit einer österreichischen Delegation nach Petrograd weiterreiste, um mit der sowjetischen Regierung über Fragen der Behandlung von Kriegsgefangenen und der Wiederaufnahme des Bahn- und Postverkehrs zu verhandeln. Im Jänner 1918 kehrte er nach Wien zurück und wurde im April neuerlich in offizieller Mission nach Petrograd entsandt, von wo er - angeblich aus Sympathie für die Kommunisten - nicht mehr zurückkehrte. Von seiner ersten Frau, der Tochter eines amerikanischen Diplomaten in München - ließ er sich 1918 scheiden und heiratete im gleichen Jahr Dora Leichtenberg (Dora Evgen'eva Lejchtenbergskaja), die Tochter des Herzogs Maximilian von Leuchtenberg (ab 1832 Fürst Romanovskij, ein Enkel von Joséphine de Beauharnais). Marchesetti arbeitete ab Mai 1919 im Verlag für Weltliteratur, der 1924 in die Russische Nationalbibliothek eingegliedert wurde. Bis zur Verhaftung am 8. September 1937 arbeitete das Ehepaar in der Bibliothek (Dora Lejchtenbergskaja mit Unterbrechung). Im zweiten Verhör am 2. Dezember 1937 gab Marchesetti zu, Johann Heindl und Boris Karlovič Kestner, einen ehemaligen zaristischen Offizier, für Spionagedienste angeworben zu haben. Seinerseits wurde er von dem aus Berlin stammenden Hermann Grünberg (Герман Грюнберг), dem Chauffeur der Bibliothek, und Nikolaj Sergeevič Gorjačev, einem Chauffeur des deutschen Konsulats, beschuldigt, mit dem deutschen Generalkonsul Rudolf Sommer kooperiert zu haben und von ihm Material für sieben Bomben für einen Terrorakt gegen den Leningrader Parteisekretär A. A. Ždanov erhalten zu haben. Nach anfänglichem Leugnen unterschrieb Marchesetti ein Geständnis und wurde am 10. Jänner zum Tode verurteilt. Marchesetti und Johann Heindl wurden am 15. Jänner 1938 hingerichtet. Nach akribischer Überprüfung aller Anschuldigungen wurde Marchesetti am 1. Juli 1975 rehabilitiert.
Quelle: Archiv der russischen Nationalbibliothek (SPb), lists.memo.ru, ÖStA
Anmerkung: S. auch Josef Vogl: Victor von Marchesetti und Darja Leuchtenberg-Beauharnais (Dora Lejchtenberg). In: Barry McLoughlin/Josef Vogl: ... Ein Paragraf wird sich finden. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945).- Wien 2013, S. 123-133.
Zoia Belyakova: The Romanovs. The way it was.- St. Petersburg 2000, S. 9-37 (Russische Ausgabe: Зоя Белякова: Романовы. Как это было.- СПб 1998).