Das Komplementsystem

Das Komplementsystem war ursprünglich durch seine bakterizide Funktion entdeckt worden, und zwar als ein Serumbestandteil, der die Wirkung der Antikörper “komplementierte”. Um bakterizid zu wirken, bedarf es einer Aktivierung, z. B. durch antigengebundene Antikörper (klassische Aktivierung) oder durch Oberflächenstrukturen.

Insgesamt umfasst das Komplementsystem 20 Proteine, als C1-C9 bzw. Faktoren D, B, I, H und Properdin bezeichnet (siehe Tabelle), die im Serum in verschiedenen Konzentrationen vorliegen.

 

Klassischer Aktivierungsweg

Der klassische Aktivierungsweg wurde vor dem alternativen Weg entdeckt (deswegen "klassisch"). Entwicklungsgeschichtlich hat er sich jedoch erst später als der alternative Weg entwickelt.

Die wesentliche Bedeutung des klassischen Komplementweges liegt in der Aktivierung durch Antigen-Antikörper-Komplexe. Außer Ag-AK-Komplexen aktivieren auch andere Oberflächen, wie DNA, Kollagen oder C-reaktives Protein, das Komplementsystem über den “klassischen Weg”.Bei Aktivierung des klassischen Weges wird über C3b immer auch der alternative Weg mitaktiviert, wobei das Vorhandensein einer Aktivator- oder Inaktivatoroberfläche über die Stärke der Mitaktivierung des alternativem Weges entscheidet.
Bei primärer Aktivierung des alternativen Weges wird der klassische Weg nicht mitaktiviert.

Ablauf der Aktivierung:

  1. Die erste Komplementkomponente C1 bindet mit ihrer Untereinheit C1q an die Fc-Abschnitte zweier benachbarter Antikörper (IgG oder IgM). Dadurch ändert die die Konformität von C1q und es lagern sich je 2 Moleküle C1r und C1s an C1q an. Dieser Komplex wird durch Ca++ stabilisiert.
  2. Durch die Bindung erlangt C1s Esteraseaktivität und spaltet zwei weitere Komplementproteine C4 (in C4a und C4b) und dieses dann C2 (in C2a und C2b).
    C4b ist kurzzeitig hochreaktiv (COOH-Gruppe!) und kann mit NH2- oder OH-Gruppen auf Aktivatoroberflächen eine kovalente Bindung eingehen. Erfolgt keine Bindung, wird die COOH-Gruppe mit H2O abgesättigt.
    An das membrangebundene C4b lagert sich C2 an, das durch aktiviertes C1s gespalten wird.
  3. Die Spaltstücke des C2a und des C4b bilden zusammen ein Enzym (C2a4b), die sogenannte C3-Konvertase. Ein Molekül spaltet viele C3-Moleküle, so dass an dieser Stelle die Komplementaktivierung amplifiziert wird. Ein Spaltstück des C3, das C3b, kann unmittelbar nach seiner Entstehung kovalent an Membranen binden und führt die Komplementkaskade weiter. (Aktivierung des alternativen Weges)
    Das kleinere Spaltstück C3a wird freigesetzt.
  4. C3b bindet C5, das dann durch die C3-Konvertase in C5b und C5a gespalten wird. Der Komplex C4b2a3b wird als C5-Konvertase bezeichnet.
    C4a, C3a und C5a bezeichnet man als “Anaphylatoxine”, C5a ist außerdem chemotaktisch, z. B. für Monozyten und Granulozyten.
  5. C5b ist nun der Ausgangspunkt für den Membranangriffskomplex (MAC): C5b bildet mit der Komponente C6 einen Komplex, der für kurze Zeit reversibel mit Membranen oder Lipoproteinen reagieren kann. Bindung des C7 führt zu einem tri-molekularen Komplex, der teilweise in die Membran inseriert. Der C5b6-7-Komplex bietet eine Bindungsstelle für C8, der daraus resultierende C5b-8-Komplex bildet eine kleine transmembranale Pore, die durch die Bindung vieler C9-Moleküle größer und stabiler wird.

Wirkung des MAC:

Transmembranale C5b-9-Poren stören die osmotische Kontrolle der Zelle. Ionen und Wasser können in die Zelle eindringen, was zum Anschwellen und schließlich Platzen der Zelle fuhrt. Bei Erythrozyten reicht eine transmembranale Pore zur Lyse aus. Zellkern-haltige Zellen können eine Komplementattacke abwehren, z. B. durch Internalisierung oder Abschnürung komplementbesetzter Membranbereiche, so dass mehrere funktionelle Kanäle zur Abtötung gebraucht werden. In sub-lytischer Dosis vermitteln membranständige C5b-9-Komplexe auch transmembranale Signale. Bei vielen Zellen wurde eine Freisetzung von Eicosanoiden oder Zytokinen beobachtet.

Alternativer Aktivierungsweg

Der alternative Aktivierungsweg (“Properdinsystem”) kann durch sog. Aktivatoroberflächen (bakterielle Proteasen, lysosomale Enzyme, Plasmaproteinasen und Granulozytenelastase) in Gang gesetzt werden. Er läuft unabhängig von den Komponenten C1, C2 und C4 ab.

Genau genommen ist für den alternativen Weg keine Aktivierung notwendig. Vielmehr beruht er auf einer Hemmung der Regulation.

Voraussetzung für eine alternative Aktivierung ist das Zusammentreffen einer geringen Menge C3b und einer geeigneten Oberfläche. Dieses C3b wird durch folgenden Vorgang bereitgestellt:

  1. C3 bindet an eine Mikrobenoberfläche und ändert dabei seine Struktur derart, dass es Oberflächenstrukturen freilegt, die C3b entsprechen. Es entsteht iC3 ("identical").
  2. An iC3 lagert sich nun Faktor B an, es entsteht der Komplex iC3-B. Durch diese Bindung wird B so verändert, dass er durch den im Serum in aktiver Form vorkommenden Faktor D gespalten werden kann. Das Resultat ist der Komplex iC3Bb, der als C3-Konvertase des alternativen Weges (Sparflammenkonvertase) bezeichnet wird.
  3. Der Komplex iC3Bb spaltet ein weiteres C3-Molekül, wodurch (endlich) C3b entsteht. C3b durchläuft ab Punkt 2 wiederum den eben beschriebenen Aktivierungsweg (autokatalytische Schleife).
    Wenn C3b nicht innerhalb kürzester Zeit an eine entsprechende Oberfläche binden kann, wird es durch H2O abgesättigt und tritt als unwirksames "fluid-phase-C3b" im Plasma auf.
  4. Es entsteht ein neues Enzym C3bBb, das, stabilisiert durch Faktor P (Properdin), weitere C3-Moleküle spalten kann. (Der Komplex heißt nun C3bBbP)
  5. Ähnlich wie die C3-Konvertase des klassischen Weges spaltet C3bBbP auch C5 (C5-Konvertase des alternativen Weges), das an ein weiteres C3b-Molekül gebunden ist. Es entstehen C5a und C5b.
  6. C5b ist wiederum der Ausgangspunkt für den Membranangriffskomplex (MAC); hier münden also klassischer und alternativer Weg in eine gemeinsame Endstrecke.

An Aktivatoroberflächen können die Komplement-Regulatorproteine I und H, deren Aufgabe die Spaltung und damit Inaktivierung des C3b ist, nicht wirksam werden. Der alternative Reaktionsweg kann durch Immunglobulin wie IgA und IgE, Zymosam oder Lipopolysaccharide wie Endotoxine induziert werden.

Inhibitoren und Kontrolle des Komplementsystems

Der raschen und nahezu ubiquitären Aktivierbarkeit des Komplementsystems stehen eine Reihe effektiver Regulatoren gegenüber, die an verschiedenen Stellen der Komplementsequenz eingreifen:

Komplementdefizienzen

Die biologische Funktion des Komplementsystems zeigt sich besonders bei Krankheitsprozessen, bei denen zytotoxische oder durch Immunkomplexe vermittelte gewebszerstörende Mechanismen ablaufen. So spielt das Komplement nicht nur bei der Abwehr von Infektionen eine zentrale Rolle, sondern ebenso bei der Manifestation z.B. immunkomplexinduzierter Autoimmunerkrankungen.

Mangel an Pathologie / Symptomatik
C1q, r, s, C4
  • sehr selten, assoziiert mit Immunkomplexerkrankungen (SLE-ähnliche Symptomatik)
  • häufig Infektionen mit pyogenen Bakterien
C2 häufig SLE-Symptomatik, geringe Infektionsneigung
C3 häufig Infektionen mit pyogenen Bakterien
Faktor I häufig Infektionen mit pyogenen Bakterien
C5-C8
  • häufig Infektionen mit Meningo-, Pneumo-, Gonokokken
  • selten Vaskulitis
C9 kein Einfluss auf Komplementwirkung (häufig in Japan!)
B nicht mit dem Leben vereinbar (Symptomatik daher unbekannt)
DAF paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie