Demenzkrankheiten
Def.: Nachlassen kognitiver Leistungen, wodurch die gewohnte Lebensführung
beeinträchtigt wird.
Unterscheidung:
- Debilität = angeborener Intelligenzdefekt
- Demenz = erworbener Intelligenzdefekt
Auch physiologisch kommt es im Alter zur Abnahme des Hirnvolumens (Hirninvolution)
mit Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume. Außerdem kommt es im
Alter auch zur Ablagerung von Stoffwechselprodukten (wie beim M. Alzheimer)
Zwar lassen Merkfähigkeit, Auffassung und intellektuelle
Umstellungsfähigkeit sowie die Affizierbarkeit nach, ein unmittelbarer Schluss
aus der Hirninvolution auf die Persönlichkeit und Intelligenz lässt sich aber
nicht ziehen.
Die beiden wichtigsten Demenzkrankheiten (präsenile Demenz) können auch
gemeinsam vorkommen. Es sind
außerdem
Differentialdiagnose der Demenzerkrankungen
Senile Demenz vom Alzheimer-Typ (senile Hirnatrophie)
- vorwiegend Männer ab dem 65. LJ.
- entspricht gesteigerter physiologischer Hirnalterung (v.a. lokal im
Hippocampus und limbisches System). Die Altersveränderungen nehmen mit dem
Alter an Intensität zu.
Die physiologische Hirnalterung ist durch eine Atrophie der Nervenzellen
gekennzeichnet: Infolge verminderten Durstgefühls sinkt die Wasseraufnahme,
dadurch nimmt der Gewebswassergehalt ab.
Morbus Alzheimer (präsenile Demenz)
Darunter versteht man bestimmte Alterserscheinungen im ZNS, die vorzeitig (im
jüngeren Alter, d.h. vor dem 60. LJ.) auftreten:
- erhöhte Vergesslichkeit, Demenz
- Antriebsstörungen (Depression, Aggression)
- räumliche und zeitliche Desorientierung (Verwirrtheitszustände)
Makroskopisch:
- diffuse Großhirnatrophie mit Verbreiterung der Furchen insbesondere in
den Frontal- , Parietal- und Temporallappen, in forgeschrittenen Stadien
auch Atrophie des Marklagers
- Infolge Parenchymverlust kommt es sekundär zu einer Erweiterung der
Ventrikel
Subkortikal:
- Degeneration des Ncl. basalis Meynert (Projektion von cholinergen Neuronen
zum Kortex)
- Aus dem Locus coeruleus sind das aufsteigende noradrenerge und das
serotonerge System geschädigt (Projektion aus dem hinteren Raphe-Kern in
den Hippocampus und den Neokortex)
Mikroskopisch:
Abnahme der Synapsendichte (frontaler und temporo-parietaler
Assoziationskortex, entorhinaler Kortex, Hippocampus) ==> Reduktion
kognitiver Leistung (Nachweis durch PET)
Intrazellulär finden sich sog. Alzheimer-Fibrillen. Extrazellulär findet
man in bestimmten Bahnen (Großhirnrinde, Hippocampus, Ncl. amygdaloideum)
sog. Alzheimer-Plaques aus degenerierten Neurofilamenten,
untergegangenen Neuronen und Amyloid-ß-A4-Protein.
- Die Neurofilamente werden abnorm (hyper-)phosphoryliert, wodurch
neurofibrilläre Bündel entstehen (=Paired helical filaments). Diese
bestehen aus einem Protein Tau (Axonprotein, das die Bindung der Mikrotubuli
verstärkt), MAP2, Ubiquitin und ß-Amyloid.
- Amyloid-ß-A4-Protein entsteht durch proteolytische Spaltung
aus dem (physiologisch vorhandenen) Amyloid-Precursor-Protein (APP), welches
auf Chromosom 21 kodiert ist (Häufung bei Down-Syndrom!).
AßA4 hat die Fähigkeit zur Bildung von Aggregaten und
Fibrillen.
Eine vermehrte Genexpression führt zu vermehrtem APP. Als Ursache hierfür
werden Slow virus-Infektionen oder Prionen diskutiert.
- In den Plaques findet man auch Apolipoprotein-E4 (kodiert auf
Chromosom 19), ein Transportprotein, das die Aggregation des ß-A4-Protein
zu neurotoxischem Amyloid stimuliert.
- Zusätzlich entsteht ein Mangel an Cholinacetyltransferase und
Acetylcholinesterase, wodurch das Neuron zugrunde geht.
In und um Hirngefäße findet sich vaskuläres Amyloid AßA4.
Symptome:
Die Symptome nehmen von
uncharakteristischen Symptomen langsam progredient bis zur ausgeprägten
Demenz zu.
- uncharakteristische Kopfschmerzen, unsystematischer Schwindel, allgemeine
Leistungsschwäche
- neuropsychologische Ausfälle:
- Vergesslichkeit
- Verlieren von Überblick selbst über vertraute Situationen
- Schwierigkeiten beim Rechen, Schreiben, Lesen. Wortfindungsstörungen
- Orientierungsstörungen (zeitlich, örtlich, selten persönlich).
Persönlichkeit und Affekt bleiben lange erhalten
- Störung der Merkfähigkeit
- Perseverationstendenz
- aphasische Sprachstörungen,
Stereotypien, Echolalie, Neologismen
- bilaterale Apraxie
- konstruktive Apraxie
- Störung der Raumorientierung
- Antriebsmangel (70%)
- psychomotorische Unruhe, Rufen und Schreien (60%)
- Schlafstörungen (70%)
- Depressivität und sozialer Rückzug (40%)
- Wahn (30%)
- Halluzinationen (10%)
- Aggressivität (30-40%)
- neurologisch:
- Reflexdifferenzen
- Parkinsonismus
- pathologische Hand- und Mundgreifreflexe
- Epileptische Anfälle
Therapie:
- Versuche mit reversiblen Cholinesterasehemmern (Takrin-HCl, Donezepil)
- Nootropika (Piracetam)
- Kalziumantagonisten
- Neuroprotektiva (Vit.-E)
- Antidepressiva: SSRI, MAO-Hemmer
- Bei Unruhe: Clomethiazol, Butyrophenone
Subkortikale arterioskleotische Enzephalopathie (SAE)
Pathogenese:
Aufgrund langjähriger Hypertonie kommt es einer Mikroangiopathie ==>
- ausgedehnte Demyelinisierung des Marklagers ==> Schädigung von
Assoziationsfasern
- lakunäre Infarkte
==> fortscheitende Demenz, Persönlichkeitsveränderungen, tlw. reversibel
Gefäßinsulte mit motorischen Halbseitensymptomen
Symptome:
Auftreten von Symptomen manchmal nach einschneidendem Lebensereignis (Tod des
Ehepartners etc.): Dekompensation
- Parkinsonismus (Rigor, Akinese. Falls Tremor, dann gemischter Ruhe- und
Intentionstremor)
- Neurologische Herdsymptome (je nach Lokalisation), v.a. Hemiparesen
- Störung der Merkfähigkeit (Altgedächtnis ist besser erhalten)
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Zuwendung zur eigenen Vergangenheit
- Affektlabilität (v.a. spontane Traurigkeit) bei insgesamt reduzierter
Affizierbarkeit
- Depression, mürrisch
- Zuspitzung von latenten Charakterzügen: Starrsinn, Geiz, Herrschsucht.
Hypochondrie
- delirante Episoden ==> stumpfe Antriebslosigkeit
Diagnostik:
CT und MRT lassen die ausgedehnten Demyelinisierungen im Marklager und die
lakunären Infarkte erkennen
Therapie:
- Blutdruckeinstellung
- sonst keine kausale Therapie
mit 1-2% seltene Demenz. Beginn im Präsenium (50.-60. LJ), Dauer ~ 7 Jahre
Pathologie:
Starke Schrumpfung des Stirn- und teilweise auch des Schläfenlappens
("Walnussrelief"). Betroffen sind der frontale und basale Neokortex,
damit auch Teile des limbischen Systems (==> affektive Symptome)
Mikroskopisch: Schwund des Nervenparenchyms mit argentophilen Einschlüssen
(Pick-Körper) in Ganglienzellen. Keine Alzheimer-typischen Veränderungen
Symptome:
- Nachlassen der Leistungsfähigkeit, Routineleistungen gelingen nicht mehr
- Persönlichkeitsveränderungen:
- Verlust für soziales Verhalten
- Flache Emotionen (Läppisch-euphorisch oder mürrisch-verdrossen)
- Vernachlässigung der Familie, Initiative
- Pathologische Hand- und Mundgreifreflexe
- Endstadium: Akinetisches Parkinson-Syndrom mit schwerer Demenz
Diagnostik:
CT /MRT zeigen fronto-temporalen Hydrozephalus externus und internus
Therapie:
Nur Sedierung
In der Hirnrinde finden sich Lewy-Körper (eosinophile Einschlüsse mit
Immunreaktion auf Ubiquitin)
Symptome:
- Progressives Nachlassen kognitiver Leistungen in Abwechslung mit häufigen
luziden Intervallen
- komplexe, als bedrohlich erlebte, visuelle Halluzinationen ==>
Wahnideen
- Bradykinese, Rigor
Symptome:
- Patienten erkennen die Bedeutung von Nomina nicht mehr: Benennung von
Objekten und Tatbeständen wird werden aktiv noch passiv möglich.
- Im Endstadium erlöschen Sprachproduktion und -verständnis
Variante: Primär progressive Aphasie
Symptome:
- Demenz
- Inkontinenz (frontales Blasenzentrum)
- Gangstörung: kleinschrittig, Füße scheinen am Boden zu kleben. Im
Liegen sind komplexere Aufgaben möglich
Diagnostik:
CT / MRT zeigen Aufweitung der Seitenventrikel und Verminderung der
Rindenfurchen. Mit Kontrastmittel ist eine Umkehrung des Liquorflusses in die
Seitenventrikel nachweisbar.
Therapie:
Liquorpunktion (> 30ml) kann die Symptomatik rasch verbessern. In diesem
Fall kann eine Shuntoperation zur deutlichen Besserung führen, wenn die
Ausfälle nicht schon zu lange bestanden haben.
Damit ist diese Demenzform prinzipiell behandelbar!