Anämie
Def.: reduzierte Erythrozytenzahl, reduziertes Hämoglobin (Hb), reduzierter
Hämatokrit
Symptome:
- Milde Anämie:
- Müdigkeit, Dyspnoe, bei Anstrengung Tachykardie
- Schwere Anämie:
- äußerst geringe Belastbarkeit
- Ruhetachykardie
- Schwindel, Kopfschmerz
- Synkopen
- Kälteüberempfindlichkeit
- Anorexie, Verdauungsbeschwerden
- Allgemein:
- Blässe der Haut, Schleimhäute (Konjunktiven) und Organe
- Durch Hypoxie anämische Verfettung (Leber, Niere, Tigerung des
Myokards)
- Hyperplasie des Knochenmarks, ev. sogar Wiederbesiedelung des
Fettmarks der langen Röhrenknochen
- Hämosiderose (bei hämolytischen oder sideroachrestischen Anämien)
- Ikterus (hämolytische Anämien)
Diagnostik:
- Zuordnung der Anämie nach Erythrozytengröße und Hb-Gehalt (==>
Gliederung in kleinere diagnostische Gruppen)
- sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung
- weitere Laboruntersuchungen:
- Blutbild:
- Hb-Konzentration [mmol/l oder g/dl]
- Hämatokrit [%]
- Retikulozyten [%]
- erniedrigt bei Bildungsstörung
- kompensatorisch erhöht bei vermehrtem Verlust
- MCV [µm³ = fl]
- erniedrigt (mikrozytär) bei Eisenmangel, Thalassämie,
Anämie der chronischen Erkrankung (Entzündung, Infekt, Tumor),
sideroachrestischer Anämie
- normal bei Hämolyse, renaler Anämie, oft auch bei Anämie
der chronischen Erkrankung
- erhöht (makrozytär) bei Vit-B12- oder
Folsäuremangel
- MCH [pg/Zelle]
- erniedrigt (hypochrom) bei Eisenmangel
- normal (normochrom) bei Hämolyse, renaler Anämie
- erhöht (hyperchrom) bei Vit-B12-Mangel
- Leukozyten - und Thrombozytenzahl: erniedrigt bei aplastischer
Anämie und bei Vit-B12- und/oder Folsäuremangel
- Morphologische Beurteilung
- Weiterführende Labordiagnostik
- Einschätzung der Knochenmarkproduktion (Retikulozytenindex),
weiter Knochenmarkspunktion
- Einschätzung des Eisenstoffwechsels (Ferritin, Transferrin)
- Ausschluss einer Hämolyse
- bei Hämolyse sind LDH/HBDH erhöht, Haptoglobin
erniedrigt.
- Bei schwerer Hämolyse: freies Hb im Serum, Hämoglobinurie
- indirektes Bilirubin erhöht
Ursachen
verminderte
Produktion |
reine Aplasie der Erythrozytenreihe (pure red cell aplasia) |
- angeboren: kongenitale dyserythropoetische Anämie (CDA), isolierte
Erythrozytenaplasie ("Diamond Blackfan"-Syndrom)
- erworben: medikamentös-toxisch
|
aplastische Anämie (Aplasie mehrerer Zelllinien mit
Panzytopenie) |
- angeboren: z.B. Fanconi-Anämie
- erworbene aplastische Anämie
|
Knochenmarksverdrängung |
Leukämie, tumoren, Speicherkrankheiten, myelodysplastisches
Syndrom |
Störungen der DNA-Synthese |
Vit-B12-Mangel, Folsäuremangel |
Erythropoetinmangel |
renale Anämie |
kombinierte Produktionsstörungen |
Anämie der chronischen Erkrankung (Entzündung, Infektion,
Tumor) |
gesteigerter
Abbau (Hämolyse) |
angeborene Membrandefekte |
hereditäre Sphärozytose, Elliptozytose, Stomatozytose,
Akanthozytose, paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie |
angeborene erythrozytäre Enzymdefekte |
Mangel an Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD),
Pyruvatkinase |
angeborene Hämoglobindefekte |
- Sichelzellanämie, Hämoglobin C
- Thalassämien
|
Antikörper-vermittelt |
Wärme/Kälteantikörper, Iso/Auto-AK,
arzneimittelinduzierte AK (z.B. Penicillin, a-Methyldopa) |
Infektionen |
z.B. Malaria |
mechanisch |
- Marschhämoglobinurie
- mikroangiopathische hämolytische Anämie (z.B. hämolytisch
urämisches Syndrom HUS)
- Anämie bei künstl. Herzklappe
- Hypersplenismus
- Verbrauchskoagulopathie
- bei kavernösen Hämangiomen
|
chemisch |
z.B. bei Kupferintoxikation (selten) |
Lipidstoffwechselstörung |
z.B. bei Zieve-Syndrom, A-b-Lipoproteinämie |
Blutverlust |
über Magen-Darm-trakt, Urin, Darm, Vagina |
Anämie entsteht erst nach Erschöpfung der Eisenspeicher |
Traumatisch |
in der Akutphase meist normales Hb und Hkt |
Im Detail:
Die Bildungsstörung kann betreffen:
a) Hb-Bildungsstörung
Hb-Mangel bei normalem Zellwachstum führt zu kleinen Erythrozyten, die
zuwenig Hb eingelagert haben: hypochrome, mikrozytäre Anämie. Die
Erythrozyten zeigen eine Poikilozytose (unregelmäßig geformt) und Anisozytose
(unterschiedliche Größen)
Ursachen:
- Eisenmangel (chron. Blutung,
mangelnde Zufuhr, Malabsorption, erhöhter Bedarf)
- Thalassämien (b, a): genet.
bedingter
Synthesedefekt
- Sideroachrestische Anämie:
gestörter Fe-Einbau in Protoporphyrin IX durch einen Enzymdefekt (kongenital oder aufgrund von
Medikamenten, chronische Bleivergiftung (basophil getüpfelte Erys), Vit. B6-Mangel,
Alkohol)
- Porphyrie
Aufgrund einer Mangelversorgung mit Substraten der DNA-Synthese
(Vitaminmangel etc.) werden zu wenige Blutzellen gebildet. Da dennoch eine ausreichende Hb-Produktion
stattfindet, bei führt die Bildungsstörung der Erythrozyten zu
großen, Hb-reichen Erys (Megaloblasten), welche rasch zerfallen.
==> hyperchrome, makrozytäre Anämie.
Da auch die Bildung anderer Blutzellen vermindert ist, treten
hypersegmentierte Granulozyten auf.
Insbesondere sind für die DNA-Synthese wichtig:
Cobalamin (Vitamin B12)
- Cobalamin wird als Kofaktor für die C1-Gruppen-Übertragung
gebraucht.
- Folgen eines Cobalaminmangels:
- perniziöse Anämie
- Hunter-Glossitis (Rotfärbung von Zungenspitze und-rücken infolge
Atrophie des Zungenpapillen, verbunden mit Parästesien und
Zungenbrennen)
- funikuläre Myelose mit ataktischem Gang und psychomotorischer
Symptomatik
- polyneuropathische Schmerzen und Parästhesien in den Extremitäten
Folsäure
- Tetrahydro-Folsäure
ist wichtigster Faktor in der C1-Gruppen-Übertragung
- Folgen eines Folsäuremangels:
Gelbliche Hautfarbe wegen leichter Hämolyse, bei schwerem Mangel
Megaloblastäre Änamie mit Leukopenie.
Niemals neurologische Symptome! (Im Ggs. zum Cobalaminmangel)
Ursachen:
- Mangelernährung (Vegetarier, Alkoholiker): V.a. Folsäuremangel
- Malabsorption
- Vitamin B12-Mangel:
Infolge einer Autoimmunreaktion gegen Belegzellen des Magens ist die
Produktion von Intrinsic factor zu gering, Vit. B12 kann daher
nicht ausreichend aufgenommen werden:
Perniziöse Anämie Biermer. Oft
in Kombination mit anderen Autoimmunkrankheiten (Hashimoto-Thyreoiditis)
Nachweis der Malabsorption mittels Schilling-Test
- Fischbandwurm (Diphyllobotrium): Verbrauch von Vit. B12
- Folsäure-Antagonisten (Methotrexat)
Durch Bildungsstörung im Knochenmark es kommt zu einer Panzytopenie, d.h.
alle myeloischen Zellen sind vermindert.
- primär:
- Fanconi-Syndrom (autosomal-rezessives aplastisches Syndrom)
- idiopathisch (Autoimmungenese?)
- sekundär:
- Strahlen
- chemische Substanzen (Benzol, Insektizide)
- Medikamente (Chloramphenicol, NSAR (z.B. Phenylbutazon), Gold,
Zytostatika( z.B Busulphan, Doxorubicin), ...
- Infekte (z.B. Virushepatitis,
Masern, Herpesviren)
- sehr selten: Schwangerschaft (Autoimmunprozess?)
Klinik: Blässe (Anämie), Blutungen (Thromozytopenie), Infektneigung
(Granulozytopenie)
d) Proliferationsstörungen der erythropoetischen Stammzellen (Erythroblasten)
- Erythroblastophthise (pure red cell aplasia)
- akut: hämolytische Krise, kurzdauernd
- chronisch:
- kongenital: Rezeptordefekt für Erythropoetin
- erworben: Kollagenosen, Virusinfektion
- kongenitale dyserythropoetische Anämie: Glykosylierungsstörung der
Erythrozytenmembran
e) Erythropoetinmangel bei Niereninsuffizienz
zusätzlich Eisen- und Folsäureverluste durch die Dialyse
f) Verdrängung z.B. durch Leukämien
g) sonstiges
akute Infekte (Befall von Erys z.B. bei Malaria, Phagozytose der Erys durch
Makrophagen)
Klinik: Blässe, leichter Ikterus, Splenomegalie, Urobilinogenurie
a) kongenital:
- Membrandefekte
- Sphärozytose: Fehlen der Spektrin-a-Kette.
Lebensdauer eines Ery nur ca. 14 d. Therapie: Splenektomie
- Elliptozytose
- Enzymdefekte (Enzymopenische Anämien)
Es fehlen v.a. Enzyme der Glykolyse, des Pentosephosphatzyklus und der
Glutathionsynthese
==> den Erys fehlt die Energiequelle ==> spontane Hämolyse,
Schüttelfrost, Ikterus, Hämoglobinurie, Splenomegalie
- wichtigster Enzymmangel: Glucode-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel
(Anämie ausgelöst nach Verzehr von Saubohnen: Favismus, durch
Sulfonamide, Malariamittel, Phenazetin)
Hämolyse durch Antikörper (Iso-AK gegen Erys z.B. in Spenderblut, Auto-AK
gegen eigene Erys)
Nachweis von AK gegen Erythrozyten mittels Coombs-Test
Klassifikation:
- Wärmeagglutinine
- Idiopathische Wärme-autoimmunhämolytische Anämien
- sekundäre Wärme-autoimmunhämolytische Anämien
- Kälteagglutinine
- Idiopathisches Kälteagglutinin-Syndrom
- Sekundäres Kälteagglutinin-Syndrom
- Mykoplasma-Infektionen, EBV
u.a.
- CLL, Lymphome etc.
- Paroxysmale Kältehämoglobinurie
- Idiopathisch
- Syphilis, virale Infektionen
- Iatrogen induzierte immunhämolytische Anämien (Medikamente binden an
Ery-Oberfläche, AK gegen Med. ==> Komplementaktivierung, ADCC,
CTL-vermittelte Lyse)
- Alloantikörper-induzierte immunhämolytische Anämien
Auto-AK können natürlich durch Entstehung von Neoantigenen gebildet werde,
häufiger jedoch durch Störungen der AK-Bildung im Zuge von Erkrankungen des
lymphoretikulären Gewebes (benigne z.B. infektiöse Mononukleose, malignen z.B.
lymphat. Leukämien, monoklonalen Gammopathien etc.)
Wärmeagglutinine können bei 37°C die Erys agglutinieren, wirken als
Opsonine ==> Hämolyse in Milz und Leber.
Kälteagglutinine können nur bei niedrigen Temperaturen die Erys
agglutinieren, v.a.in den Akren.
Kältehämolysine sind IgG, die bei niedrigen Temperaturen an Erys
binden. Bei normalen Temperaturen kommt es dann durch Komplementaktivierung zur
Hämolyse
Symptome:
- Normochrome Anämie
- Auftreten von Retikulozyten und Kugelzellen
- Ikterus
- Urobilinogenämie
- Hyperplasie des KM
Komplementaktivierung: z.B. paroxysmale
nächtliche Hämoglobinurie
c) Toxisch bedingte hämolytische Anämien
Gifte:
- Chemische Subsanzen: Arsen-Wasserstoff, Blei, Anilin
- Drogen und Medikamente
- Pilzgifte
- Schlangengifte
- Malariaplasmodien
- Herzklappenprothesen
- starke körperliche Anstrengung (Marschhämoglobinurie)